GRUNDZÜGE EINER KRITISCH-RATIONALEN POLITIK
Eigentlich sollte es selbstverständlich sein, dass sich die Politik an überprüfbaren Tatsachen statt an gefühlten Wahrheiten oder ideologischem Wunschdenken orientiert. Leider sieht es in der Realität anders aus: Der politische Trend zu „alternativen Fakten“ und „postfaktischen Argumenten“, der inzwischen von Moskau bis Washington zu beobachten ist, trifft nicht nur Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sondern die Gesellschaft als Ganzes. Fakten gelten heute oft nur noch dann als Fakten, wenn sie ins eigene Weltbild passen. Damit werden die Grundlagen einer rationalen Debatte untergraben, auf der jede aufgeklärte Demokratie basiert.
Gerade in Zeiten verhärteter Fronten und medialer Filterblasen stehen Politikerinnen und Politiker in der Verantwortung, dieser Entwicklung entgegenzutreten und wissenschaftliche Erkenntnisse stärker als bisher zu berücksichtigen. Allerdings reicht reines Faktenwissen allein nicht aus, um vernünftige Entscheidungen zu treffen. Vielmehr bedarf es eines grundsätzlichen Wandels der politischen Denk- und Streitkultur, um die methodischen Prinzipien der Wissenschaft zu verinnerlichen.
Schließlich zeichnet sich wissenschaftliches Denken dadurch aus, dass die Wahrheit einer Aussage nicht einfach behauptet werden darf, sondern begründet und einer kritischen Prüfung unterzogen werden muss. Da alles Wissen prinzipiell fehlbar und damit bloß vorläufig ist, kann keine Erkenntnis ewige Gültigkeit für sich beanspruchen. Eine Theorie hat daher nur so lange Bestand, bis sie widerlegt oder eine bessere Alternative gefunden wurde. Die Stärke der Wissenschaft liegt gerade in der Bereitschaft, aus ihren eigenen Fehlern zu lernen. Kurz: Wissenschaft ist weder beliebig noch dogmatisch – sie ist kritisch-rational.
Während die kritisch-rationale Denkweise für viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler längst zur Alltagspraxis gehört, wird sie im politischen Tagesgeschäft oft sträflich vernachlässigt. Dies liegt nicht nur daran, dass Politikerinnen und Politiker unter erheblichem Zeitdruck stehen und es für sie kaum möglich ist, komplexe Themen in ihrer Tiefe zu durchdringen. Es liegt auch an den verschiedenen Währungen, die in Wissenschaft und Politik eine Rolle spielen: Im Wissenschaftssystem geht es hauptsächlich um Erwerb und Erhalt von Wissen, in der Politik dagegen um Erwerb und Erhalt von Macht. So werden wissenschaftliche Standards oftmals zugunsten von Partikularinteressen geopfert.
Mit einigen Anstrengungen ist eine kritisch-rationale Politik jedoch sehr wohl möglich. Dafür ist es allerdings erforderlich, dass politische Entscheidungsprozesse als Problemlösungsversuche angesehen werden, die sich bewähren, aber auch scheitern können. Eine solche Politik könnte dem Projekt der Aufklärung zu neuer Blüte verhelfen. Das Hans-Albert-Institut möchte dazu einen Beitrag leisten.
Wofür wir einstehen
- Faktenbasiertheit: Eine kritisch-rationale Politik basiert auf belastbaren Fakten statt auf Bauchgefühlen. Tragfähige Entscheidungen können nur dann getroffen werden, wenn sie den aktuellen Stand wissenschaftlicher Forschung berücksichtigen und sich an der Realität messen lassen.
- Sprachliche Klarheit: In politischen Diskussionen wird oft versucht, argumentative Schwächen mit substanzlosen Phrasen zu verschleiern oder das Gegenüber mit Fremdwörtern und komplizierten Satzstrukturen zu verunsichern. Dies führt häufig zu einer Kritikimmunisierung. Positionen müssen jedoch möglichst verständlich und präzise vorgetragen werden, damit sie sinnvoll auf ihre Stichhaltigkeit überprüft werden können.
- Kritikfähigkeit: Statt nach Bestätigung einer liebgewonnenen Meinung zu suchen, gilt es, diese ständig zu hinterfragen und nach Fehlern in der eigenen Argumentation zu suchen. So schwer es auch fällt: Das Eingeständnis eines Irrtums ist kein Ausdruck von Schwäche, sondern von intellektueller Stärke. Ehrliche Kritik sollte daher nicht als Belästigung verstanden werden, sondern als Geschenk, das uns von Irrtümern befreit.
- Aufgeschlossenheit: Die Politik sollte offen für alternative Problemlösungen sein. Dies erfordert die Bereitschaft, sich in politische Kontrahenten hineinzuversetzen und neuen Perspektiven eine Chance zu geben. Unliebsame Ideen und Argumente sollten nicht einfach abgetan werden, nur weil sie von der „falschen Seite“ vertreten werden.
- Realisierbarkeit: Politik ist die Kunst des Möglichen, die eine Wahl zwischen realisierbaren Alternativen verlangt. Forderungen sollten daher grundsätzlich umsetzbar sein, da es sich sonst um Wunschfantasien handelt, die zwangsläufig an der Realität scheitern müssen.
- Zivilisierte Streitkultur: Eine kritisch-rationale Politik stellt sich dem konstruktiven Wettbewerb der Ideen. Damit dieser gelingen kann, braucht es ein Mindestmaß an Respekt gegenüber Andersdenkenden. Persönliche Diffamierungen sind keine legitimen Mittel des Widerstreits, da sie ein sachliches Ringen um das bessere Argument verhindern.
- Weltanschauliche Neutralität: Kritisch-rationale Politik richtet sich nicht nach einer bestimmten Glaubensüberzeugung. Nur wenn der Staat als unparteiischer Schiedsrichter auftritt, besitzt er die erforderliche Glaubwürdigkeit, um die für alle geltenden Spielregeln vernünftig begründen und durchsetzen zu können.
- Evolution statt Revolution: Politische Großversuche sind mit erheblichen Risiken verbunden, da sich ihre Folgen kaum abschätzen lassen und nur schwer zu revidieren sind. Kritisch-rationale Politik ist daher evolutionär ausgerichtet: Wir gehen in möglichst kleinen Schritten voran und irren uns allmählich zu besseren Lösungen empor.