31. August 2025

Gerhard Streminger: Das Theodizee-Problem

Das Theodizee-Problem stellt eine der fundamentalsten Herausforderungen für den religiösen Glauben dar: Wie lässt sich die Existenz eines allmächtigen, allwissenden und allgütigen Gottes mit dem offensichtlichen Leid und Übel in der Welt vereinbaren? Philosoph und HAI-Beirat Gerhard Streminger analysiert systematisch die verschiedenen Lösungsversuche.

(Si deus unde malum?)

1. Ausgangspunkt

Men­schen erle­ben die Welt als gegen­sätz­lich, als Quel­le des Schmer­zes einer­seits und der Freu­de ande­rer­seits, als nega­tiv und posi­tiv, als gut und böse.

Auf der einen Sei­te gibt es das Natur­schö­ne, das Kunst­schö­ne, die Schön­heit man­cher Bezie­hun­gen zwi­schen Men­schen sowie die­ser zu ande­ren Lebe­we­sen oder zur Natur. Es gibt Ver­ständ­nis, mensch­li­che Wür­de und Erhabenheit.

Auf der ande­ren Sei­te exis­tie­ren natür­li­che und mora­li­sche Kata­stro­phen, also Din­ge wie Vul­kan­aus­brü­che, Krie­ge, Krank­hei­ten, Tod, Hass, Ver­nich­tungs­la­ger oder Erd­be­ben. Arthur Scho­pen­hau­er buch­sta­bier­te „Welt“ so: Weh, Elend, Leid, Tod, womit er nicht nur in prä­gnan­ter Wei­se sei­ne eige­ne pes­si­mis­ti­sche Sicht der Din­ge zusam­men­fass­te, son­dern auch ein pro­phe­ti­sches Wort sprach. Denn auf das 19. Jahr­hun­dert dürf­te sein düs­te­res Alpha­bet noch in gerin­ge­rem Maße zuge­trof­fen haben als auf die dar­auf­fol­gen­den, mit den Erfah­run­gen zwei­er Welt­krie­ge und den Bedro­hun­gen, die sich wie ein schwar­zes Gewölk über unse­re Köp­fe zusammenbrauen.

Rich­te­te man den Blick über das Dies­seits hin­aus und frag­te nach einem mög­li­chen Schöp­fer des Gan­zen, so lägen ange­sichts des Soseins der Welt meh­re­re Alter­na­ti­ven nahe: Gott ist sowohl gut als auch böse, oder: Gott ist mora­lisch indif­fe­rent, schuf zwar die Welt, zog sich dann aber wie­der behag­lich auf sich selbst zurück und lässt die Welt ein­fach dahin­trei­ben, oder: Es gibt vie­le Göt­ter, gute und böse, die um die Macht rin­gen, oder: Das Uni­ver­sum ist ein Pro­dukt des Zufalls und nimmt ohne Wel­ten­len­ker sei­nen Lauf.

Trotz der drän­gen­den Fra­ge, wie das fol­gen­de Welt­bild mit der Wirk­lich­keit ver­ein­bar sein könn­te, ver­tre­ten Chris­ten und Mus­li­me, zumin­dest in den euro­päi­schen Hoch­kir­chen, ein ande­res, sehr anspruchs­vol­les Got­tes­bild. Ihrer Mei­nung nach ver­kör­pert der Höchs­te alle posi­ti­ven Eigen­schaf­ten in höchs­tem Maße. Gott ist für sie das summum bonum, das „höchs­te Gut“, oder das ens per­fec­tis­si­mum, das „voll­kom­mens­te Sein“. Kon­kret ist Gott in die­sen reli­giö­sen Tra­di­tio­nen all­mäch­tig, all­gü­tig, gerecht und barmherzig.

2. Attraktivität des traditionellen Gottesbildes

War­um seit Jahr­tau­sen­den trotz anschei­nen­der Unver­träg­lich­keit mit der Wirk­lich­keit an die­sem posi­ti­ven Got­tes­bild fest­ge­hal­ten wird, hat zumin­dest vier Gründe:

1. Ein sol­cher, sitt­lich voll­kom­me­ner Gott besitzt mora­li­sche Auto­ri­tät. Folg­lich ist es ver­nünf­tig, des­sen Gebo­te und Anord­nun­gen zu befol­gen, wodurch sich auch der Streit um mora­li­sche Wer­te erüb­rigt. Es gin­ge dann nur noch um das rich­ti­ge Ver­ste­hen der Wor­te Got­tes. Soll­te aller­dings nicht gezeigt wer­den kön­nen, dass die­ser gut und gerecht ist, so wird es mora­lisch höchst bedenk­lich, des­sen Gebo­te blind zu befolgen.

2. Ein güti­ger und gerech­ter Gott ist ver­trau­ens­wür­dig. Man kann mit Ihm einen Dia­log füh­ren, sich an Ihn wen­den, wenn man ver­zwei­felt ist, Ihn um Rat fra­gen und Ihm das Intims­te anver­trau­en, Ihn manch­mal sogar zu einem Tun ermun­tern, also Sei­nen Wil­len zu beein­flus­sen suchen. Alles das, was als „Ver­trau­ens­be­zie­hung zwi­schen Schöp­fer und Geschöpf“ oder ein­fach als „beten“ ver­stan­den wird, bekommt so einen nach­voll­zieh­ba­ren Sinn.

3. Wäre der Schöp­fer, wie behaup­tet, sitt­lich voll­kom­men und all­mäch­tig, so könn­te in begrün­de­ter Wei­se geschlos­sen wer­den, dass alle Lei­den der Welt gerecht­fer­tigt sei­en, da hin­ter allem Gesche­hen ein wohl­wol­len­der Plan stün­de. Wenn also ein voll­kom­me­nes Schöp­fer­we­sen exis­tiert, so folgt dar­aus – wie Leib­niz in sei­ner Theo­di­zee immer wie­der beton­te – die Sinn­haf­tig­keit allen Leids.

4. Schließ­lich zur viel­leicht größ­ten Attrak­ti­vi­tät des tra­di­tio­nel­len Got­tes­bil­des: Ein ethisch voll­kom­me­nes Wesen wäre Garant für eine aus­glei­chen­de Gerech­tig­keit im Jen­seits. Das sitt­li­che Gefühl nimmt beson­de­ren Anstoß an der Unge­rech­tig­keit des Wel­ten­laufs mit sei­ner man­geln­den Ent­spre­chung von Ver­dienst und Lebens­si­tua­ti­on. Aber, so heißt es nun, der All­mäch­ti­ge lässt zwar die irdi­sche Son­ne über Gerech­te und Unge­rech­te schei­nen, aber ein­mal wird er die Spreu vom Wei­zen tren­nen. Die Ver­kün­di­gung, dass es den Müh­se­li­gen und Bela­de­nen, den Ver­damm­ten die­ser Erde ein­mal bes­ser gehen wer­de, wird wohl kaum jeman­den völ­lig kalt las­sen. Aber die­se Hoff­nung setzt zumin­dest vor­aus, dass Gott selbst gütig, gerecht, mäch­tig, wis­send und wohl­wol­lend ist – also gera­de so, wie zumin­dest in gro­ßen Tei­len des Chris­ten­tums und des Islams behaup­tet wird: Auf­grund sei­ner Weis­heit hat Er die bes­te Welt erkannt, auf­grund Sei­ner Güte hat Er sie gewählt und auf­grund sei­ner Macht hat Gott sie geschaffen.

Das gro­ße Pro­blem die­ses posi­ti­ven Got­tes­bil­des ist, wie bereits mehr­fach ange­deu­tet, die Ver­träg­lich­keit mit der ambi­va­len­ten Wirk­lich­keit. Dank sei­ner Attrak­ti­vi­tät haben jedoch zahl­rei­che Den­ker zu zei­gen ver­sucht, dass die­se Welt des Lei­des und der apo­ka­lyp­ti­schen Ängs­te den­noch die Schöp­fung eines all­mäch­ti­gen und all­gü­ti­gen Got­tes sei. Vie­le Phi­lo­so­phen haben mit die­ser Fra­ge gerun­gen, und es gibt wohl kei­nen Theo­lo­gen, den das Pro­blem „War­um lässt der Güti­ge so viel Leid zu?“ nicht bedrängt hätte.

3. Präzisierung des Problems

Das Pro­blem der Recht­fer­ti­gung der Güte und Barm­her­zig­keit Got­tes ange­sichts der Lei­den in einer von Ihm abhän­gi­gen Welt kann nun in die­ser Wei­se prä­zi­siert wer­den: Frag­lich ist, ob die fol­gen­den vier Behaup­tun­gen mit­ein­an­der ver­träg­lich sind oder nicht. Die­se lauten:

I. Es gibt einen Gott, ein per­so­na­les Höchs­tes Wesen, den Schöp­fer die­ser Welt.

II. (Die­ser) Gott ist all­mäch­tig, all­gü­tig und all­wis­send. Er ist das voll­kom­mens­te Sein.

III. Etwas, das selbst gut ist, wür­de etwas ande­res, das schlecht oder böse ist, nach Mög­lich­keit ver­hin­dern oder beseitigen.

IV. Es gibt in die­ser Welt eine Viel­zahl von Leiden.

Die meis­ten Chris­ten und Mus­li­me tei­len, wie schon gesagt, die­ses posi­ti­ve Got­tes­bild. Über die fol­gen­de nähe­re Bestim­mung der gött­li­chen Eigen­schaf­ten dürf­ten sie eben­falls ohne gro­ße Pro­ble­me sich ver­stän­di­gen können:

All­macht: Macht ist die Fähig­keit, nach eige­nem Gut­dün­ken einen Zustand belas­sen oder ver­än­dern zu kön­nen. Ein Wesen besitzt Macht, wenn es die­se Fähig­keit hat, und ein Wesen besitzt All­macht (oder: „ist all­mäch­tig“), wenn es alles schaf­fen oder ver­än­dern kann, was es will. Der All­mäch­ti­ge kann es reg­nen las­sen, wenn es Ihm beliebt, oder die Erde zu einem Wür­fel for­men, wenn er dies möchte.

All­wis­sen­heit: Jemand ist all­wis­send, wenn er alles weiß, was gewusst wer­den kann, also: was gesche­hen ist, was geschieht, was gesche­hen wird und was gesche­hen könn­te. Die Eigen­schaft der All­wis­sen­heit ist bereits in jener der All­macht ent­hal­ten, denn ein Wesen, dem es an Wis­sen fehlt, fehlt es auch an Macht. Ist es hin­ge­gen all­mäch­tig, so ist es auch allwissend.

All­gü­te: Ein Wesen, das gut ist, will und tut Din­ge, die gut sind; und ein sol­ches, das voll­kom­men gut ist, will und tut immer nur Din­ge, die gut sind. Gibt es auch viel Streit dar­über, was „gut“ genau bedeu­ten mag, so dürf­ten die aller­meis­ten fol­gen­der Mini­mal­de­fi­ni­ti­on zustim­men kön­nen: Eine Hand­lung ist gut, wenn sie dem Wohl­wol­len ent­springt und dem Gemein­wohl dient. Der All­gü­ti­ge setzt nur Hand­lun­gen die­ser Art.

Alle Ver­su­che nun, die zahl­lo­sen Lei­den der Welt zu recht­fer­ti­gen und damit Got­tes Güte zu erwei­sen, hei­ßen zumin­dest seit Leib­niz Theo­di­ze­en, von gr. the­os, „Gott“ und gr. dike, „Gerech­tig­keit“. Eine Theo­di­zee ist also, um dies noch­mals zu wie­der­ho­len, „die Recht­fer­ti­gung der Güte und Gerech­tig­keit Got­tes ange­sichts des Leids in einer von Ihm abhän­gi­gen Welt“.

Die meis­ten Gläu­bi­gen neh­men nun an, dass eine sol­che Theo­di­zee gelin­ge, somit gezeigt wer­den kön­ne, dass die oben ange­führ­ten Prä­mis­sen I‑IV mit­ein­an­der ver­träg­lich sind. Der Ein­fach­heit hal­ber sei­en sie „The­is­ten“ genannt, wäh­rend jene, die die Ver­ein­bar­keit der Prä­mis­sen bezwei­feln, „Skep­ti­ker“ hei­ßen mögen. Die­se mei­nen also, dass The­is­ten, wol­len sie kei­nem wider­sprüch­li­chen Welt­bild anhän­gen, zumin­dest eine der vier Behaup­tun­gen preis­ge­ben müssen.

Schon im 18. Jahr­hun­dert, manch­mal auch „Jahr­hun­dert der Theo­di­ze­en“ genannt, nahm die­ses Pro­blem unter Skep­ti­kern bei­na­he den Rang eines Gegen­be­wei­ses zu den klas­si­schen Got­tes­be­wei­sen ein, wobei fol­gen­der­ma­ßen argu­men­tiert wurde:

a. Wenn der christ­li­che Gott exis­tiert, so weiß er auf­grund sei­ner All­wis­sen­heit um die Exis­tenz von Übeln. b. Auf­grund sei­ner All­macht kann er sie ver­hin­dern. c. Aus der Exis­tenz eines güti­gen Got­tes folgt also die Nicht-Exis­tenz von Übeln und aus der Exis­tenz von Übeln die Nicht-Exis­tenz eines güti­gen Gottes.

Fazit: Es gibt Übel. Also exis­tiert der güti­ge, christ­li­che Gott nicht.

Obwohl der ers­te Anschein eher für die skep­ti­sche Posi­ti­on spricht, ist nicht unmit­tel­bar ein­zu­se­hen, ob die Prä­mis­sen I‑IV mit­ein­an­der ver­träg­lich sind oder nicht. Wäre dem nicht so, hät­ten wohl kaum unzäh­li­ge Men­schen zumin­dest seit Hiob mit die­ser Fra­ge gerun­gen. Soll­te jedoch das Schei­tern der Theo­di­ze­en gezeigt wer­den, so sprä­che dies dafür, dass es einen Gott gibt, der auch nega­ti­ve Eigen­schaf­ten in sich ver­eint oder dass es vie­le, gute und böse Göt­ter gibt, die um das Schick­sal der Men­schen rin­gen – oder dass die Welt ein­fach das Pro­dukt des Zufalls oder eines Schöp­fer­got­tes ist, der sich – nach geta­ner Arbeit – wie­der aus­schließ­lich mit sich selbst beschäf­tigt. Aber für jede die­ser Mög­lich­kei­ten gilt, dass die Vor­stel­lung einer aus­glei­chen­den Gerech­tig­keit im Jen­seits auf­ge­ge­ben wer­den müsste.

Die Mei­nung, die Kant zu die­sem Pro­blem hat­te, geht prä­gnant aus dem Titel sei­nes im Jah­re 1791 in der Ber­li­ni­schen Monats­schrift ver­öf­fent­lich­ten Tex­tes her­vor: Über das Miß­lin­gen aller phi­lo­so­phi­schen Ver­su­che in der Theo­di­cee.

4. Gerechtfertigtes und ungerechtfertigtes Leid

Nach­dem die grund­sätz­li­che Attrak­ti­vi­tät des tra­di­tio­nel­len Got­tes­bil­des sowie sei­ne ent­schei­den­de Schwie­rig­keit auf­ge­zeigt wur­de, soll nun die Fra­ge geklärt wer­den, unter wel­chen Umstän­den Leid gerecht­fer­tigt bzw. unge­recht­fer­tigt ist – wobei gerecht­fer­tig­tes Leid mit der Güte Got­tes ver­ein­bar und unge­recht­fer­tig­tes Leid mit der gött­li­chen Güte unver­ein­bar ist.

Ange­nom­men, ein Chir­urg ist mit der Fra­ge kon­fron­tiert, ob er an einem Pati­en­ten eine Ope­ra­ti­on vor­neh­men sol­le oder nicht. Wann ist die Ope­ra­ti­on, also die Schaf­fung von Leid gerechtfertigt?

Ant­wort: Die Ope­ra­ti­on ist dann gerecht­fer­tigt, wenn zumin­dest die bei­den fol­gen­den Bedin­gun­gen erfüllt sind:

a. Die Ope­ra­ti­on wird – bei bes­tem Wis­sen – zu einem Gut füh­ren, wobei die­ses Gut das Leid, das durch die Ope­ra­ti­on ver­ur­sacht wird, bei wei­tem über­wiegt – wenn also die Schmer­zen der Ope­ra­ti­on ver­gli­chen mit den zu erwar­ten­den Freu­den (der Gesund­heit) gering sind.

b. Das Gut, also die Ver­bes­se­rung des Gesund­heits­zu­stan­des kann auf kei­ne ande­re Wei­se, etwa durch harm­lo­se Medi­ka­men­te oder durch eine Phy­sio­the­ra­pie, erreicht werden.

Ein Chir­urg ist also berech­tigt, eine Ope­ra­ti­on vor­zu­neh­men, wenn die­se mit gro­ßer Wahr­schein­lich­keit die Lebens­qua­li­tät des Pati­en­ten wesent­lich ver­bes­sern wird und die­ses Ziel auf kei­ne ande­re, weni­ger leid­vol­le Wei­se erreicht wer­den kann.

Das­je­ni­ge Kri­te­ri­um, wel­ches erlaubt, gerecht­fer­tig­tes von unge­recht­fer­tig­tem Leid zu unter­schei­den, lau­tet somit: Ein bestimm­tes Leid ist dann gerecht­fer­tigt, wenn es bei bes­tem Wis­sen zu einem Gut führt, das nur auf die­se Wei­se erlangt wer­den kann, wobei das Gut pro­por­tio­nal wesent­lich grö­ßer ist als das Leid. Die­sem Kri­te­ri­um zufol­ge ist, um ein wei­te­res Bei­spiel zu nen­nen, ein Feu­er­wehr­mann berech­tigt, jeman­dem einen schmerz­haf­ten Stoß zu ver­set­zen, wenn er ihn allein dadurch vor einem her­ab­fal­len­den Bal­ken ret­ten kann.

Nun scheint es in die­ser Welt sowohl gerecht­fer­tig­tes als auch unge­recht­fer­tig­tes Leid zu geben. Unge­recht­fer­tigt ist Leid dann – um das noch­mals zu wie­der­ho­len -, wenn es zu kei­nem höhe­ren Gut führt oder wenn die­ses Gut auf ande­re, näm­lich schmerz­lo­se­re Wei­se erlangt wer­den kann.

Übel sei im Fol­gen­den jenes Leid genannt, das nicht gerecht­fer­tigt ist („Leid“ und „Übel“ sind also im Fol­gen­den kei­ne syn­ony­men Begrif­fe!). Zwar erle­ben die aller­meis­ten Leid als nega­tiv, aber bei nähe­rer Betrach­tung zeigt sich, so mei­nen The­is­ten, dass ihm auch eine posi­ti­ve Funk­ti­on zukommt, da es uner­läss­lich ist zum Erlan­gen eines hohen Gutes. Für vie­le For­men von Leid scheint dies jedoch nicht zu gelten.

Die­se Übel sind die eigent­li­che Her­aus­for­de­rung für The­is­ten, da sie der Annah­me eines güti­gen und wei­sen Got­tes widersprechen.

5. Lösungsversuche des Theodizee-Problems

Die fun­da­men­ta­le Erfah­rung, dass es in die­ser Welt unge­recht­fer­tig­tes Leid gibt, wird von The­is­ten zu zer­streu­en ver­sucht, indem sie zei­gen, dass auch die zunächst als Übel gel­ten­den Lei­den in Wahr­heit gerecht­fer­tigt sind, da auch sie zur Ver­wirk­li­chung eines höhe­ren Gutes die­nen. Kon­kret las­sen sich nun inner­halb der klas­si­schen Theo­di­ze­en zwei Grup­pen von Lösungs­ver­su­chen unterscheiden:

Ent­we­der wird durch Zusatz­an­nah­men, die im Hin­blick auf die zur Dis­kus­si­on ste­hen­de Ver­ein­bar­keit der Prä­mis­sen I‑IV so etwas wie eine „Brü­cken­funk­ti­on“ haben, deren Ver­ein­bar­keit zu erwei­sen gesucht; oder es wird durch Inter­pre­ta­ti­on bzw. Modi­fi­ka­ti­on der Prä­mis­sen II-IV das Pro­blem zu „umge­hen“ versucht.

Ein Bei­spiel der zwei­ten Art ist die Pri­va­ti­ons­leh­re, der zufol­ge es über­haupt nichts wirk­lich Nega­ti­ves, son­dern nur einen Man­gel an Gutem gibt. Und ein Bei­spiel der ers­ten Art ist die Annah­me, dass die Welt trotz allen Leids ins­ge­samt gese­hen eine gute, ja die best­mög­li­che ist, da alles Leid im Wege des Kon­tras­tes zur Ver­wirk­li­chung des Kunst­werks Erde diene.

5.1. Brückenannahmen

Zunächst zu den Brü­cken­an­nah­men: Mei­nes Wis­sens wur­den in der Geschich­te des Theo­di­zee-Pro­blems fol­gen­de Brü­cken­an­nah­men (sowie Kom­bi­na­tio­nen die­ser) zur Recht­fer­ti­gung von Leid und damit zur Recht­fer­ti­gung der Güte und Gerech­tig­keit Got­tes erdacht.

5.1.A Geordnetes Universum

Näher aus­ge­führt, lau­tet die Brü­cken­an­nah­me A so: Gott schuf die best­mög­li­che Welt, was sich an der Geord­ne­t­heit des Uni­ver­sums zeigt. Ein beson­ders ein­drucks­vol­les Bei­spiel dafür sind die Gra­vi­ta­ti­ons­kräf­te, denn ohne sie brä­che das rei­ne Cha­os aus: Die Erde bei­spiels­wei­se, soll­te sie sich noch um ihre Ach­se dre­hen, wür­de auf­grund zen­tri­fu­ga­ler Kräf­te in ihre Bestand­tei­le zer­ris­sen. Dort, wo ein­mal Leben herrsch­te, gäbe es nur noch einen Nebel plan­los dahin­trei­ben­den Staubs.

Aber die­se Ord­nung hat einen Preis, den auch Gott ent­rich­ten muss­te. Denn jene Kräf­te, die für die­se Geord­ne­t­heit ver­ant­wort­lich sind, zei­ti­gen manch­mal, etwa bei Flut- oder Flug­zeug­ka­ta­stro­phen, nega­ti­ve Kon­se­quen­zen. Wenn aber Men­schen selbst beur­tei­len sol­len, wel­che Fol­gen ihr Tun oder Unter­las­sen nach sich zie­hen, dann müs­sen die Natur­ge­set­ze als fes­te Regeln gel­ten. Nur in einer geord­ne­ten Welt kön­nen wir ein­grei­fen, kön­nen Lebens­plä­ne ent­wi­ckeln und Ver­än­de­run­gen vor­neh­men, also Frei­heit üben. Das heißt dann aber auch, dass es „Opfer des Sys­tems“ geben wird.

Dis­kus­si­on. Natür­lich ist die Brü­cken­an­nah­me A grund­sätz­lich geeig­net, das Theo­di­zee-Pro­blem zu lösen, weckt aller­dings – so mei­nen Skep­ti­ker – fun­da­men­ta­le Zweifel.

So ist nicht ein­zu­se­hen, war­um Gott kei­ne bes­se­re Welt­ord­nung schuf, etwa eine sol­che, in der es kei­ne Wuche­rung von Zel­len, also kei­nen Krebs gibt. Für den All­mäch­ti­gen, den Schöp­fer von Mil­li­ar­den Mil­li­ar­den Son­nen­sys­te­men, kann es kein Pro­blem sein, die­se Mög­lich­keit zu rea­li­sie­ren. Eine ande­re bes­se­re Welt wäre eine sol­che, in der es kei­ne Evo­lu­ti­on, also kein Fres­sen und Gefres­sen­wer­den über hun­der­te von Mil­lio­nen Jah­re gibt. Gott hät­te den Men­schen, wie es auch in der Bibel heißt (Gen 2,7), ein­fach aus einem Klum­pen Erde, dem er Leben ein­hauch­te schaf­fen kön­nen. Die Behaup­tung, dass die­se unse­re Welt mit Evo­lu­ti­on die best­mög­li­che sei, lässt sich also mit dem Hin­weis auf Geord­ne­t­heit nicht begründen.

Aber selbst dann, wenn die gege­be­ne Ord­nung best­mög­lich wäre, könn­te Gott bei den­noch auf­tre­ten­den gro­ßen Übeln durch Wun­der, also durch ein Durch­bre­chen der Natur­ge­set­ze ein­grei­fen. Droht bei­spiels­wei­se eine Kon­ti­nen­tal­plat­te mit einer ande­ren zu kol­li­die­ren, so könn­te der All­mäch­ti­ge durch einen klei­nen Fin­ger­zeig den Zusam­men­stoß und damit Erd­be­ben und Tsu­na­mis ver­hin­dern. Da er die Macht dazu besä­ße, es aber nicht tut, ist Sei­ne Güte nicht gezeigt.

Die Brü­cken­an­nah­me A erfüllt also, so die Kri­tik, die in sie gesetz­te Hoff­nung auf eine Lösung des Theo­di­zee-Pro­blems nicht.

5.1.B Göttliches Kunstwerk

Bei die­sem Lösungs­ver­such wird nicht, wie im vor­an­ge­gan­ge­nen, aus der Regel­mä­ßig­keit, son­dern aus der Man­nig­fal­tig­keit der Din­ge auf die Güte Got­tes geschlos­sen. Von die­sem Lösungs­ver­such exis­tie­ren zwei Varianten:

a. Alles Leid als not­wen­di­ger Kontrast.

In der ers­ten Ver­si­on der Brü­cken­an­nah­me B wird die Fül­le an Leid mit dem Hin­weis gerecht­fer­tigt, dass es im Wege des Kon­trasts einen not­wen­di­gen Bei­trag zu einem opti­ma­len Gesamt­bild leis­te. So, wie Gegen­sät­ze die Rede ver­schö­nern, schafft die gött­li­che Kunst, die sich der Din­ge statt der Wor­te bedient, durch ähn­li­che Anti­the­sen die Schön­heit des Gan­zen. Lei­den und Las­ter sind also Dis­so­nan­zen im gera­de dadurch umso groß­ar­ti­ger klin­gen­den car­men uni­ver­si­ta­tis, „Lied des Uni­ver­sums“ – so könn­te die­se Ver­si­on der Brü­cken­the­se B kurz zusam­men­ge­fasst werden.

Dis­kus­si­on. Inter­es­san­ter­wei­se ist die logi­sche Struk­tur die­ses Gedan­ken­gangs mit dem­je­ni­gen der Brü­cken­an­nah­me A nicht iden­tisch. Zwar wird in bei­den Fäl­len behaup­tet, dass es unmög­lich sei, dass eine bestimm­te Eigen­schaft (Ord­nung bzw. Schön­heit) ohne Leid gege­ben sein könn­te; auch wird in glei­cher Wei­se betont, dass Leid nicht iso­liert betrach­tet wer­den dür­fe, son­dern im Gesamt­zu­sam­men­hang gese­hen wer­den müsse.

Aber ein fun­da­men­ta­ler Unter­schied besteht doch: Wäh­rend in der Brü­cken­an­nah­me A alles Leid als eine uner­wünsch­te, wie­wohl unver­meid­li­che Kon­se­quenz von Ord­nung behaup­tet wird, gilt in der Brü­cken­an­nah­me B, dass alles Leid als ein von Gott bewusst ein­ge­setz­tes Mit­tel zur Ver­wirk­li­chung eines über­ra­gen­den Gutes, näm­lich der Schön­heit des Gan­zen, zu ver­ste­hen sei. Die Lei­den und Schre­cken der Welt erfül­len als Mit­tel zu einem her­vor­ra­gen­den Zweck eine not­wen­di­ge Funk­ti­on im best­mög­li­chen Gesamt­bild. Dies gilt nach Leib­niz auch für die damals weit­ver­brei­te­te Glau­bens­an­nah­me, wonach ein Groß­teil der Men­schen sich am Ende der Tage im ewi­gen Höl­len­feu­er wie­der­fin­den wer­de. Die vie­len Ver­damm­ten der Erde haben also die Funk­ti­on eines dis­so­nan­ten Akkords im Rah­men der gera­de dadurch umso ein­drucks­vol­ler klin­gen­den gött­li­chen Weltsinfonie.

b. Leid als not­wen­di­ger Gegensatz.

Von der Brü­cken­an­nah­me B exis­tiert noch eine abge­schwäch­te Ver­si­on, die im Gegen­satz zur stär­ke­ren nicht nur vor allem von Phi­lo­so­phen, son­dern auch von The­is­ten und Pre­di­gern ver­tre­ten wird. Sie lau­tet so:

Gott schuf die best­mög­li­che Welt. Aber eine Welt ohne Leid ist schlech­ter als die tat­säch­lich von Gott geschaf­fe­ne, denn Leid ist ein not­wen­di­ger Gegen­satz zum Guten. Trotz sei­ner All­macht konn­te auch er Din­ge, die unmög­lich sind, nicht schaf­fen, „denn besei­tig­te er das Schlech­te, so besei­tig­te er auch das Gute“. Jedem Gut muss daher als Gegen­satz ein Leid gegen­über­ge­stellt werden.

Dis­kus­si­on. Das Pro­ble­ma­ti­sche an der Brü­cken­an­nah­me B all­ge­mein, so die skep­ti­schen Beden­ken, besteht dar­in, dass durch die­sen Lösungs­ver­such bes­ten­falls eine klei­ne Men­ge an Leid gerecht­fer­tigt ist. Zwar ver­mag der eine oder ande­re Kon­trast, eini­ge Schat­tie­run­gen oder Moll-Töne tat­säch­lich zur Schön­heit des Kunst­werks bei­tra­gen. Aber alle Lei­den die­ser Welt tra­gen zur ästhe­ti­schen Voll­kom­men­heit mit­nich­ten bei.

Ähn­li­ches gilt für die schwä­che­re Ver­si­on die­ses Brü­cken­prin­zips. Eini­ge Lei­den (Zahn­schmer­zen, Lan­ge­wei­le etc.) mögen uns das Gute, über das wir auch ver­fü­gen, tat­säch­lich inten­si­ver erle­ben las­sen. Aber alle Lei­den die­ser Welt zusam­men­ge­nom­men, las­sen uns nichts Gutes mehr emp­fin­den. Die zwei­fel­los auch vor­han­de­nen posi­ti­ven Sei­ten des Lebens ersti­cken dann im Sumpf von Schmerz und Elend. Zum Glück schüt­zen uns unse­re Ver­drän­gungs­me­cha­nis­men vor einem Bewusst­wer­den all­zu vie­len Leids.

Zudem gilt als Ein­wand gegen die Behaup­tung, dass erst Nega­ti­ves Posi­ti­ves erfahr­bar macht: Irgend­wann hat­te jeder von uns eine ers­te Emp­fin­dung. Die­se mag ange­nehm oder unan­ge­nehm gewe­sen sein. Da ihr kei­ne ande­re Erfah­rung vor­aus­ge­gan­gen ist, ver­mö­gen wir offen­sicht­lich Ange­neh­mes und Unan­ge­neh­mes sehr wohl als sol­ches zu erle­ben. Daher ist nicht ein­zu­se­hen, war­um Gott, der Schöp­fer des Uni­ver­sums, nicht imstan­de sein soll­te, Geschöp­fe zu kre­ieren, die noch viel inten­si­ver und unmit­tel­ba­rer Gutes – ohne den Umweg über nega­tiv Erleb­tes – als ange­nehm empfinden.

Und schließ­lich: Bei einer Theo­di­zee geht es nicht dar­um, Gott als voll­kom­me­nen Künst­ler zu recht­fer­ti­gen, son­dern als den Güti­gen und Gerech­ten; das Reli­giö­se dreht sich also pri­mär nicht um ästhe­ti­sche, son­dern um ethi­sche Werte.

5.1.C Sittliche Weltordnung

Die­ser Lösungs­ver­such han­delt von Mora­li­tät und die Päd­ago­gi­sie­rung von Leid und lau­tet so: Gott schuf die best­mög­li­che Welt, so wird behaup­tet, was an der Tat­sa­che offen­bar wird, dass es unter Men­schen ethi­sches Ver­hal­ten gibt. Ein sol­ches setzt jedoch Leid vor­aus, das uns zwar zunächst als Übel erschei­nen mag, das aber in Wirk­lich­keit gerecht­fer­tigt ist, da eine not­wen­di­ge Vor­aus­set­zung ethi­schen Ver­hal­tens. Eine Welt mit mensch­li­cher Mora­li­tät ist ungleich bes­ser als eine sol­che ohne sie.

Dis­kus­si­on. Alles Leid erfüllt laut die­ses Lösungs­ver­su­ches eine wich­ti­ge Funk­ti­on, dient es doch der sitt­li­chen Bes­se­rung der Men­schen, etwa der Aus­bil­dung mora­li­scher Tugen­den wie Soli­da­ri­tät, Mit­ge­fühl, Tap­fer­keit oder Pflicht­ge­fühl. Damit jemand ver­zei­hen, sich als mutig erwei­sen, Mit­leid üben oder einer Ver­su­chung wider­ste­hen kann, muss es Leid oder zumin­dest Unbe­ha­gen unter­schied­li­cher Art geben. Daher war Gott berech­tigt, zur Ver­wirk­li­chung mora­li­scher Güter Leid zu schaffen.

Kri­ti­ker die­ser Über­le­gung kön­nen Fol­gen­des ein­wen­den: Zwar mag nega­tiv Erleb­tes nicht sel­ten zu Mit­ge­fühl, grö­ße­rer Rei­fe und Huma­ni­sie­rung füh­ren, manch­mal sogar zu einem Drang, die Welt ein klein wenig ver­bes­sern zu wol­len. Aber zumeist hängt die­ser posi­ti­ve Effekt von der Grö­ße und Fül­le des Leids ab.

Für den Zusam­men­bruch gan­zer Regel­sys­te­me, für Tod und Ver­nich­tung Unzäh­li­ger etwa bei einer Natur­ka­ta­stro­phe oder einem Geno­zid – für das Grau­en der Geschich­te all­ge­mein – gilt dies kei­nes­falls. Sol­che natür­li­chen oder mora­li­schen Kata­stro­phen als not­wen­di­ge Mit­tel zu einem guten Zweck zu inter­pre­tie­ren, wirkt wie blan­ker Zynis­mus. Denn vie­le Men­schen kön­nen ob der Quan­ti­tät von Leid, das sie unmit­tel­bar oder mit­tel­bar erfah­ren, kein Mit­leid mehr emp­fin­den. Sie sind emo­tio­nal über­for­dert, wer­den ver­bit­tert und ver­härmt und depres­siv. Wegen der Lei­den, mit denen Men­schen kon­fron­tiert sind, ver­spü­ren vie­le kei­nen Drang mehr, die Umstän­de zu ver­bes­sern, son­dern sie wol­len – oft unbe­wusst – zer­stö­ren, was ihnen auch all­zu oft gelingt.

Nicht über­gro­ßes Leid, son­dern Ver­ständ­nis, Zunei­gung, Ver­trau­en und Gebor­gen­heit – so könn­te der skep­ti­sche Ein­wand noch aus­ge­führt wer­den – sind der Nähr­bo­den von Sitt­lich­keit und des Wun­sches, kon­kre­te Situa­tio­nen und damit die Welt ein wenig bes­ser zu machen. Weil dem in den meis­ten Fäl­len so ist, hät­te Gott allen Grund, die Lei­den der Welt zu ver­min­dern, und wäre er gütig, so täte er dies auch.

Zwei­fel­los folgt manch­mal aus Nega­ti­vem Gutes, aber oft genug zieht Böses wie­der Böses nach sich. „Wer Gewalt sät, wird Gewalt ern­ten“, heißt es so tref­fend. Und im AT ist zu lesen, dass der­je­ni­ge, der Wind sät, einen Sturm ern­ten wird (Hosea 8, Vers 7).

Aber nicht nur folgt aus dem Nega­ti­ven oft­mals Nega­ti­ves, also nichts Gutes. Der Lösungs­ver­such C des Theo­di­zee-Pro­blems mit dem Hin­weis auf eine sitt­li­che Ord­nung ist noch aus einem wei­te­ren Grund wenig über­zeu­gend: Dass Mit­ge­fühl und Soli­da­ri­tät in einer Welt des Leids gro­ße Güter sind, ist unbe­strit­ten. Aber die Fra­ge stellt sich, war­um Gott – angeb­lich gütig und gerecht – eine Welt mit so gro­ßem Leid geschaf­fen hat. Er ver­füg­te ja auch über ande­re Mög­lich­kei­ten und hät­te bei­spiels­wei­se sogleich para­die­si­sche, also leid­freie Zustän­de schaf­fen kön­nen. In einer sol­chen wären Mit­ge­fühl und Soli­da­ri­tät kei­ne über­ra­gen­den Güter mehr, aber anstatt sich um Krank­hei­ten und Unge­rech­tig­kei­ten ver­schie­dens­ter Art küm­mern zu müs­sen, könn­ten Men­schen sich viel stär­ker der Kunst oder Wis­sen­schaft widmen.

Also nicht nur die Behaup­tung, dass aus Nega­ti­vem stets Posi­ti­ves folgt, ist pro­ble­ma­tisch, auch die Annah­me ist es, dass etwa Mit­ge­fühl und Soli­da­ri­tät an sich gro­ße Güter wären. Somit gilt auch für die­se Brü­cken­an­nah­me, dass die im Hin­ter­grund ste­hen­de the­is­ti­sche Behaup­tung, dass Gott die best­mög­li­che Welt schuf, nicht halt­bar ist.

5.1.D Menschliche Freiheit

Der Ver­weis auf mensch­li­che Frei­heit ist wohl der berühm­tes­te Lösungs­ver­such des Theo­di­zee-Pro­blems und lau­tet so:

Gott schuf die best­mög­li­che Welt, was sich dar­an zeigt, dass es mensch­li­che Frei­heit gibt. Eine Welt mit einer sol­chen ist ungleich bes­ser als eine Welt ohne sie. Der Preis der Frei­heit ist aller­dings, dass sie auch miss­braucht wer­den kann, dann näm­lich, wenn Men­schen sich für das Fal­sche und Böse ent­schei­den. Dies haben sie getan (und tun es wei­ter­hin), wodurch alles Leid in die Welt kam bzw. kommt. Zwar erschei­nen uns die vie­len Lei­den zurecht als Übel, aber da sie nur Fol­ge des Miss­brauchs der Frei­heit sind, ist Gott nicht dafür ver­ant­wort­lich zu machen. Uns Men­schen trifft die gan­ze Schuld, der Schöp­fer ist ohne Fehl und Tadel.

Dis­kus­si­on: Obwohl so berühmt und weit­ver­brei­tet, weckt auch die­ser Lösungs­ver­such, so mei­nen zumin­dest Skep­ti­ker, fun­da­men­ta­le Zwei­fel. Wie­der­um geht es dar­um, dass der All­mäch­ti­ge etwas Voll­kom­me­ne­res hät­te schaf­fen kön­nen, kon­kret: Die Natur des Men­schen sowie die äuße­ren Umstän­de, in denen wir leben (müs­sen), könn­ten bes­ser sein. In bei­den Fäl­len wäre als Fol­ge davon der Miss­brauch der Frei­heit sel­te­ner gesche­hen, die Men­ge sinn­lo­sen Leids somit geringer.

Bei­spiels­wei­se hät­te der All­mäch­ti­ge den Men­schen mit stär­ke­ren altru­is­ti­schen Moti­ven und ohne den selt­sa­men Wunsch, wie er sein zu wol­len, aus­stat­ten kön­nen. Auch hät­te Gott Men­schen mit einem stär­ke­ren Motiv, ein ver­nünf­ti­ges Leben füh­ren zu wol­len, kre­ieren können.

Und nicht nur die inne­ren, auch die äuße­ren Umstän­de hät­te er so gestal­ten kön­nen, dass Men­schen ihre Frei­heit sel­te­ner miss­brau­chen. Denn vie­le Ver­ge­hen ent­ste­hen allein dadurch, dass Men­schen als Män­gel­we­sen sich in einer ambi­va­len­ten Umge­bung behaup­ten müs­sen. Wesen mit aus­ge­präg­te­ren mora­li­schen Moti­ven, aber ohne All­machts­fan­ta­sien und in eine ange­neh­me­re Umge­bung gesetzt, han­del­ten sitt­li­cher – so, wie Wesen mit noch weni­ger altru­is­ti­schen Antrie­ben und in eine noch feind­li­che­re Umge­bung gesetzt, sich wahr­schein­lich noch ver­werf­li­cher verhielten.

Den­ken wir zur Illus­tra­ti­on an Selbst­tö­tung. Man könn­te sich leicht eine Welt vor­stel­len, in der kein Mensch Selbst­mord begeht – ohne dass damit die Mög­lich­keit zum Selbst­mord, die wir alle bei­na­he per­ma­nent haben, auf­ge­ho­ben wäre. Da vie­le Wel­ten denk­bar sind, die bes­ser sind als die­se, kann der Schöp­fer­gott nicht voll­kom­men gut sein.

Ein wei­te­rer fun­da­men­ta­ler Kri­tik­punkt von skep­ti­scher Sei­te an dem Lösungs­ver­such mit dem Hin­weis auf mensch­li­che Frei­heit lau­tet, dass Gott, wie die vie­len Ver­nich­tungs­la­ger der Geschich­te erschre­ckend deut­lich machen, auch bei mas­si­vem Aus­bruch roher Gewalt nicht ein­greift. Der Ein­wand, dass er dies des­halb nicht tut, weil er unse­re Frei­heit respek­tiert, bedeu­tet recht bese­hen, dass Gott zwar die Frei­heit der Täter hei­lig ist, nicht aber die Frei­heit der Opfer.

Einer der gro­ßen Dik­ta­to­ren des 20. Jahr­hun­derts hat­te ein aus­ge­präg­tes Inter­es­se an Archi­tek­tur und an der Musik Richard Wag­ners. Der angeb­lich All­gü­ti­ge hät­te – für ihn und uns unbe­merkt – die­se künst­le­ri­schen Inter­es­sen so ver­stär­ken kön­nen, dass sie des­sen destruk­ti­ven Gelüs­te über­la­gern. Zwar wäre Hit­ler der Frei­heit beraubt gewe­sen, sich für oder gegen das Böse zu ent­schei­den, aber mil­lio­nen­fa­ches Leid wäre der Mensch­heit erspart geblie­ben und die grund­sätz­li­che Frei­heit der Opfer wäre garan­tiert gewe­sen. Es ist nicht ein­zu­se­hen, war­um der himm­li­sche Vater bei einer Hoch­zeit in groß­zü­gi­ger Wei­se Was­ser in Wein ver­wan­del­te, aber bei Völ­ker­mord untä­tig bleibt. Da er dies tut, so wür­de ein Skep­ti­ker schlie­ßen, ist er nicht gütig zu nennen.

Jedes mensch­li­che Wesen, sofern es halb­wegs gerecht emp­fin­den kann oder sogar gütig ist, wür­de – wenn es die Macht dazu besä­ße und kei­ne nega­ti­ven Fol­gen befürch­ten müss­te – einem Aus­bruch an roher Gewalt und Zer­stö­rung augen­blick­lich Ein­halt gebie­ten. Sol­che Men­schen, und das sind wohl die aller­meis­ten von uns, sind offen­bar kei­ne Eben­bil­der Got­tes, der – soll­te er denn exis­tie­ren – all­ge­gen­wär­tig dem wil­den Trei­ben auf Erden zuschaut und nichts tut. Wo bleibt die angeb­lich „sich gren­zen­los ver­strö­men­de Lie­be Got­tes“ ange­sichts der Übel der Welt?

Ein güti­ger Gott, so könn­ten Skep­ti­ker zusam­men­fas­send behaup­ten, sicher­te die Frei­heit der Opfer und ergrif­fe Par­tei für sie. Aber so, wie die Welt nun ein­mal beschaf­fen ist, ach­tet Gott viel eher die Frei­heit der Täter als die­je­ni­ge der Opfer. Den Dik­ta­to­ren der Geschich­te wird das gött­li­che Recht auf frei­en Wil­len garan­tiert, nicht so den Geschundenen.

Wenn Gott all­gü­tig wäre, hät­te er die Welt bes­ser geschaf­fen, und zwar als Para­dies. Dadurch wären Men­schen kei­nes­wegs der Frei­heit beraubt. Wird näm­lich ein künf­ti­ges Reich Got­tes erhofft, so wird von Theo­lo­gen aus­drück­lich die Mög­lich­keit eines Zustands ein­ge­räumt, in dem Wesen immer frei­wil­lig das Gute tun. Eben die­se Mög­lich­keit set­zen sie in selbst­ver­ständ­li­cher Wei­se vor­aus, dann näm­lich, wenn sie den guten Engeln wie auch den Seli­gen im Him­mel kei­nes­wegs die Wil­lens­frei­heit abspre­chen, obwohl sie anneh­men, dass die­se de fac­to der Sün­de nicht anheim­fal­len. Wenn aber ein solch para­die­si­scher Zustand von Wesen, die in Frei­heit stets das Gute tun, Gegen­stand einer ver­nünf­ti­gen Hoff­nung sein kann, so stellt sich mit Nach­druck die Fra­ge, war­um Gott, angeb­lich voll­kom­men, nicht sogleich die­se Mög­lich­keit ergriff und damit den Lebe­we­sen unend­lich viel Leid erspart geblie­ben wäre.

Mit dem vor­an­ge­gan­ge­nen Lösungs­ver­such lässt sich die Frei­heits­kon­zep­ti­on wie folgt ver­glei­chen. Zunächst wird – wie üblich – in bei­den Fäl­len behaup­tet, dass Gott die best­mög­li­che Welt geschaf­fen hat­te. In einem zwei­ten Schritt wird dies anhand einer bestimm­ten Eigen­schaft illus­triert: an der Mora­li­tät von Men­schen sowie an deren Frei­heit. In einem drit­ten Schritt wird im Fall von Mora­li­tät behaup­tet, dass das als sinn­los erschei­nen­de Leid zur Ent­wick­lung sitt­li­cher Tugen­den not­wen­dig, somit gerecht­fer­tigt ist. In der Frei­heits­kon­zep­ti­on hin­ge­gen wird an der Exis­tenz sinn­lo­sen Leids fest­ge­hal­ten. Die­se Übel wer­den aber, ohne dass ihnen eine not­wen­di­ge Funk­ti­on zukä­me, als ver­ein­bar mit Got­tes Güte behaup­tet, da sie allein durch mensch­li­chen Miss­brauch der Frei­heit in die Welt kamen. Got­tes Güte ist somit bewahrt und gerecht­fer­tigt, und das Theo­di­zee-Pro­blem, so mei­nen The­is­ten, ist gelöst.

5.2 Umgehungsversuche

Bei die­sen Lösungs­ver­su­chen des Theo­di­zee-Pro­blems geht es nicht dar­um, durch Zusatz­an­nah­men die schein­ba­re Unver­ein­bar­keit der Prä­mis­sen I‑IV zu über­brü­cken, son­dern durch Neu­in­ter­pre­ta­ti­on bzw. Modi­fi­ka­ti­on der Prä­mis­sen II-IV das Pro­blem zu lösen.

5.2.A Privationslehre

Die­ser Lösungs­ver­such ist eine Modi­fi­ka­ti­on bzw. Ergän­zung der Prä­mis­se IV. In Wirk­lich­keit, so wird behaup­tet, gäbe es gar kein sub­stan­ti­el­les Leid und somit auch kei­ne Übel, son­dern nur einen Man­gel an Gutem. Weil dem so ist, taucht das Theo­di­zee-Pro­blem gar nicht auf.

Dis­kus­si­on. Der Pri­va­ti­ons­be­griff des Nega­ti­ven basiert auf der Annah­me, dass alles Sei­en­de in Wirk­lich­keit gut sei: Omne ens est bonum („Das gan­ze Sein ist gut“). Die angeb­li­chen Übel der Welt sei­en bloß eine Berau­bung, eine Unord­nung, eine Stö­rung der Har­mo­nie, eine pri­va­tio boni (Man­gel an Gutem). Da den Lei­den somit kein wirk­li­ches Sein zukommt, bedür­fen sie eines Trä­gers: Denn wie eine Krank­heit nicht allein, son­dern nur an einem Kör­per exis­tiert, so haf­tet auch das Nega­ti­ve am Guten. Da dies also nicht sub­stan­ti­ell, son­dern bloß akzi­den­tell ist, ist es macht­los und kann nicht durch sich, son­dern nur durch die Kraft des Guten wir­ken. Vor­der­grün­dig mag den Lei­den eine Rea­li­tät zukom­men, aber in Wirk­lich­keit steht alles zum Besten.

Der ent­schei­den­de Punkt die­ser Argu­men­ta­ti­on besteht in der sach­li­chen Ineinsset­zung des Guten mit dem Sein. Das Sein ist gut, das Böse ist ein Nichts, das Übel ist nicht-sei­end. Weil das Leid nur eine nega­ti­ve Begleit­erschei­nung des geschöpf­li­chen Seins ist, lau­tet die vier­te Prä­mis­se rich­ti­ger­wei­se: Es gibt nur einen Man­gel an Gutem.

Aber die gera­de unter Theo­lo­gen belieb­te Pri­va­ti­ons­leh­re weckt, so der skep­ti­sche Ein­wand, zumin­dest zwei Beden­ken. Zum einen wehrt sich das mensch­li­che Emp­fin­den gegen die­se Art der Meta­phy­sik. Denn weni­ger das Ange­neh­me als viel­mehr den Schmerz emp­fin­den wir unmit­tel­bar, was auch evo­lu­tio­när durch­aus sinn­voll ist. Wäh­rend wir häu­fig umfang­reich reflek­tie­ren und Ver­glei­che anstel­len müs­sen, um uns bewusst zu machen, dass wir eigent­lich viel Gutes erle­ben, bedarf es zumeist kei­ner­lei Nach­den­kens, um Nega­ti­ves bewusst zu erleben.

Zudem stellt sich in Bezug auf die Pri­va­ti­ons­leh­re die simp­le Fra­ge, wes­halb es einen sol­chen Man­gel an Gutem gibt, wenn Gott all­gü­tig und mäch­tig ist.

5.2.B Der leidende Gott

Die­ser Umge­hungs­ver­such, der eine Ergän­zung von Prä­mis­se II ist, lau­tet so: Gott ist nicht nur der güti­ge Vater und gerech­te Rich­ter, son­dern Er ist auch der­je­ni­ge, der aus Mit­ge­fühl Sei­ne Geschöp­fe in ihrem Leid nicht allein lässt. Gott ist somit nicht nur das summum bonum, das ens per­fec­tis­si­mum, son­dern auch der lei­den­de Gott, der sogar sein Leben für uns und unse­re Sün­den hin­gab. So vie­le Mühen gibt es in der Welt, aber Gott trägt mit uns ihre Last!

Dis­kus­si­on. Natür­lich ist die­se Vor­stel­lung vom „Lei­den Got­tes aus Lie­be“ für das Chris­ten­tum typisch, wäh­rend sie im Juden­tum und Islam nicht nur fehlt, son­dern häu­fig sogar als Got­tes­läs­te­rung emp­fun­den wird („Der All­mäch­ti­ge soll sich vor zwei­tau­send Jah­ren von römi­schen Sol­da­ten aus­peit­schen haben lassen …?“).

Die Leh­ren von der Got­tes­eben­bild­lich­keit des Men­schen und, vor allem, von der Mensch­wer­dung Got­tes sind die Kern­stü­cke der christ­li­chen Anthro­po­lo­gie. Weil Gott selbst größ­tes Leid auf sich genom­men hat, kann es nicht „Übel“ genannt werden.

Aber ist es nicht bereits pro­ble­ma­tisch, so die wohl ent­schei­den­de skep­ti­sche Fra­ge, wie der All­gü­ti­ge nur auf die Idee kom­men konn­te, dass Leid das­je­ni­ge ist, was Schöp­fer und Geschöpf am engs­ten mit­ein­an­der ver­bin­det? Käme ein güti­ger und wei­ser Gott nicht eher auf den Gedan­ken, dass Ver­ständ­nis und, vor allem, Lie­be die gött­li­che und mensch­li­che Sphä­re am bes­ten über­brü­cken kann?

Von die­sem Lösungs­ver­such gibt es eine Vari­an­te, bei wel­chem die christ­li­che Vor­stel­lung, dass Gott selbst schlimms­te Lei­den auf sich genom­men hat, kei­ne Rol­le spielt. Aus die­sem Grund ist die­se Idee auch in ande­ren Ver­sio­nen des Mono­the­is­mus zu fin­den: Gott nimmt zwar Anteil an den Mühen der Welt, schickt aber auch Lei­den, um Men­schen zu einem gott­ge­fäl­li­ge­ren Leben zu erzie­hen. Leid gilt hier als ein not­wen­di­ges Mit­tel zum indi­vi­du­el­len Du zwi­schen Schöp­fer und Geschöp­fen. Die­se „Ver­gött­li­chung“ des Nega­ti­ven bil­det die Folie für ver­schie­de­ne the­is­ti­sche Behaup­tun­gen: „Das Leid ist die Hil­fe Got­tes, um die See­le aus den Hän­den des Fein­des zu befrei­en“; „Das Leid beschleu­nigt den Weg zu Gott“; „Durch das Leid ent­zieht Gott der See­le den irdi­schen Trost und nötigt sie, himm­li­schen Trost zu suchen“; „Not und Leid wird den Men­schen gesandt, damit sie vor Träg­heit und Schlaff­heit bewahrt blei­ben“. Und schließ­lich unüber­biet­bar: „Not lehrt beten!“

Auch bei die­ser abge­schwäch­ten Vari­an­te die­ses Umge­hungs­ver­su­ches stellt sich für Kri­ti­ker die Fra­ge, war­um gera­de Leid, also Nega­ti­ves, das­je­ni­ge sein soll­te, was Schöp­fer und Geschöpf mit­ein­an­der ver­bin­det. Hät­te ein all­gü­ti­ges und all­wis­sen­des Wesen nicht eine bes­se­re Idee?

Irdi­sche Eltern, die ihre Kin­der lie­ben, wer­den jeden­falls ande­re Mög­lich­kei­ten ersin­nen, um ein­an­der nahe zu sein. Wie wäre es bei­spiels­wei­se mit Respekt oder ein­fach mit der all­sei­ti­gen Bereit­schaft, ande­ren und sich selbst genau zuzuhören?

5.2.C Göttliche und menschliche Güte

In die­sem Lösungs­ver­such – eben­falls eine Neu­deu­tung der Prä­mis­se II, wird infra­ge gestellt, ob das, was wir als „gütig“ und „gerecht“ ver­ste­hen, über­haupt gött­li­chen Vor­stel­lun­gen ent­spricht: Natür­lich ist Gott all­gü­tig, aber sei­ne Güte ent­spricht nicht der unse­ren. Vie­les erscheint uns als nega­tiv, als unver­ein­bar mit wah­rer Güte und Gerech­tig­keit, etwa dass Gott laut Gene­sis-Bericht in gänz­lich unan­ge­mes­se­ner Wei­se Unschul­di­ge, und zwar künf­ti­ge Gene­ra­tio­nen für die Ver­ge­hen ihrer Vor­fah­ren bestraft; oder dass er nicht ein­greift, wenn Men­schen, etwa durch Erd­be­ben oder Flut­ka­ta­stro­phe oder Geno­zid, größ­tes Leid zuge­fügt wird, kurz: dass es auf Erden eine der­ar­ti­ge Fül­le an – für uns – unge­recht­fer­tig­tem Leid gibt.

Aber, so wird nun von the­is­ti­scher Sei­te erwi­dert, dies sei eben die mensch­li­che Sicht der Din­ge, und da Got­tes Sicht nicht die unse­re ist, ist alles das, was wir bloß als Übel begrei­fen, in Wirk­lich­keit gut. „Mag uns Vie­les als unge­recht und böse und nega­tiv erschei­nen: Wer bist du Mensch, dass du rich­ten willst den All­mäch­ti­gen?“ Got­tes mora­li­sche Kate­go­rien sind nun ein­mal andere.

Und nicht nur Got­tes Güte ist mit mensch­li­chen Kate­go­rien nicht zu begrei­fen, son­dern auch sei­ne Gedan­ken und Wege sind ande­re. Was wir von der Welt ken­nen, ist bei­na­he nichts; und da wol­len Skep­ti­ker sei­ne Weis­heit und Güte an mensch­li­chen Erfah­run­gen messen?

Dis­kus­si­on. In die­sem weit­ver­brei­te­ten Lösungs­ver­such, so argu­men­tie­ren Skep­ti­ker, wird schwarz weiß und böse gut genannt. Aber all­gü­tig heißt doch nicht „böse“, son­dern „über­gü­tig“. Ein Kreis, ein­mal unvoll­kom­men gezeich­net und ein­mal voll­kom­men, bleibt ein Kreis und wird nicht durch Voll­kom­men­heit zum Wür­fel. Wenn Gott nicht in unse­rem Sinn gut ist, wie könn­te man ihn dann vom fürch­ter­lichs­ten Dämon unter­schei­den, der ja auch von sich behaup­ten könn­te, die eige­ne Moral sei nicht-mensch­lich? Die Abwehr vom Dämo­nen­glau­ben ist jedoch ein Leit­mo­tiv des Alten und Neu­en Testaments.

Kann nicht gezeigt wer­den, so die Kri­tik wei­ter, dass Gott in unse­rem Sinn gütig und gerecht ist, dann soll­te man ihn auch nicht gut und gerecht nen­nen. Denn ein sol­ches Vor­ge­hen ist ein Miss­brauch unse­rer inners­ten mora­li­schen Intui­tio­nen, unse­res ethi­schen Kom­pas­ses. Falls man über gött­li­che Eigen­schaf­ten so spre­chen soll, dass sie jen­seits mensch­li­chen Ver­ste­hens sind, dann kann man genau­so gut behaup­ten, dass Gott böse und sadis­tisch ist, aber sei­ne Bös­ar­tig­keit und Sein Sadis­mus sich unse­rem begrenz­ten Ver­ste­hen ent­zie­hen. Auf die­se Wei­se öff­nen wir aber der größ­ten Heu­che­lei Tür und Tor.

Lässt sich nicht zei­gen, dass Gott in unse­rem Sinn gütig und gerecht ist, dann kann er auch kein Garant für aus­glei­chen­de Gerech­tig­keit im Jen­seits sein, wie wir sie ver­ste­hen: dass es den Guten und Gerech­ten und Bela­de­nen end­lich bes­ser, und den Schlech­ten und Men­schen­mons­tern nicht mehr so gut geht. Ist aber Got­tes Güte und Gerech­tig­keit gar nicht in unse­rem Sinn zu ver­ste­hen, dann ist es durch­aus mög­lich, dass die Guten im Jen­seits bestraft, also in die Höl­le gewor­fen, und die Schlim­men für ihr men­schen­ver­ach­ten­des Tun auch noch belohnt wer­den, wie dies im Dies­seits oft­mals der Fall zu sein scheint – also kei­ne aus­glei­chen­de Gerech­tig­keit dort, son­dern die glei­che Unge­rech­tig­keit wie hier.

Die Vor­stel­lung von einer jen­sei­ti­gen aus­glei­chen­den Gerech­tig­keit basiert auf der Annah­me, dass das Höchs­te Wesen Unge­rech­tig­kei­ten so emp­fin­det wie wir. Vor einem Gott, der ande­ren mora­li­schen Maß­stä­ben als den unse­ren anhängt, soll­ten wir uns durch­aus fürch­ten. Wenn Gott kei­ner für uns nach­voll­zieh­ba­ren Moral ver­pflich­tet ist, sei­ne Urtei­le für uns tat­säch­lich uner­gründ­lich sind, dann tau­schen Gläu­bi­ge die Angst vor dem Tod gegen einen berech­tig­ten Schre­cken vor der Unge­wiss­heit, die sie erwar­ten könn­te, und das gleich für immer und ewig.

Got­tes Macht wird stets auf eine Wei­se inter­pre­tiert, die für uns völ­lig nach­voll­zieh­bar ist: Wäh­rend wir Men­schen nur begrenzt imstan­de sind, das zu tun, was wir tun wol­len, kann Gott grund­sätz­lich alles machen, was ihm beliebt. Got­tes Rat­schlüs­se wer­den indes oft als uner­forsch­lich bezeich­net – wohl des­halb, weil so vie­le Mani­fes­ta­tio­nen sei­nes Tuns bzw. Nicht-Tuns in kras­sem Wider­spruch zu all dem ste­hen, was Men­schen als gut und gerecht emp­fin­den. Eine Hand­lung ist auf jeden Fall gut, wenn sie dem Wohl­wol­len ent­springt und dem Gemein­wohl dient. Got­tes Nicht-Tun ange­sichts natür­li­cher und mora­li­scher Kata­stro­phen ent­springt nach skep­ti­schem Ver­ständ­nis nicht dem Wohl­wol­len und es dient schon gar nicht dem Gemeinwohl.

5.2.D Jenseitige Gerechtigkeit

Die­ser Umge­hungs­ver­such ist eine Modi­fi­ka­ti­on von Prä­mis­se III und lau­tet kurz gefasst so: Gewiss wür­de etwas, das selbst gut ist, etwas ande­res, das schlecht oder übel ist, nach Mög­lich­keit besei­ti­gen. Aber war­um bereits im Diesseits?

Immer wie­der taucht im Zusam­men­hang der Theo­di­zee-Pro­ble­ma­tik die Fra­ge auf, wes­halb Gott, falls er all­gü­tig ist, nicht ein­greift, wenn bei­spiels­wei­se eine Natur­ka­ta­stro­phe sich ereig­net oder Men­schen völ­lig in die Irre gehen, etwa bei Völ­ker- oder Mas­sen­mord. Spe­zi­ell auf die­se bren­nen­de Fra­ge ver­su­chen The­is­ten eine über­zeu­gen­de Ant­wort zu geben, näm­lich: Etwas, das selbst gut ist, besei­tig­te natür­lich das Schlech­te, aber nicht not­wen­di­ger­wei­se sogleich, son­dern erst im Jenseits.

Dis­kus­si­on: Unser mora­li­sches Emp­fin­den nimmt beson­de­ren Anstoß an der Unge­rech­tig­keit des Wel­ten­laufs. Aber, so heißt es nun von the­is­ti­scher Sei­te, der All­mäch­ti­ge lässt zwar die irdi­sche Son­ne über Gerech­te und Unge­rech­te schei­nen, aber ein­mal wird er die Spreu vom Wei­zen tren­nen! Mögen auch Men­schen die Rol­le, die sie im Welt­dra­ma spie­len, oft­mals als bedrü­ckend erle­ben, so wird es doch eine Erlö­sung für die unsterb­li­chen See­len geben: am Ende aller Zeiten!

Das Pro­ble­ma­ti­sche an die­sem Lösungs­ver­such besteht dar­in, dass er im Begrün­dungs­ver­such einen güti­gen Gott bereits als begrün­det vor­aus­setzt. Denn nur dann, wenn es einen sol­chen gibt, macht die­ser Lösungs­ver­such – aus­glei­chen­de Gerech­tig­keit im Jen­seits – einen nach­voll­zieh­ba­ren Sinn. Aber das bedeu­tet nichts ande­ren als eine peti­tio prin­ci­pii: Das erst noch zu Begrün­den­de – näm­lich die Güte Got­tes – wird im Begrün­dungs­ver­such bereits als begrün­det vorausgesetzt.

Und abge­se­hen davon: War­um soll­te Gott im Jen­seits gerecht sein, wenn er es im Dies­seits nicht ist? Wenn wir eine Kis­te Äpfel erhal­ten und die ers­ten Lagen ver­dor­ben sind, dann ist es wohl ver­nünf­ti­ger zu schlie­ßen, dass alle Äpfel ver­dor­ben sind als zu sagen: Weil die ers­ten Lagen zum Him­mel stin­ken, wer­den die letz­ten vor­züg­lich sein!

6. Die Unlösbarkeit des Theodizee-Problems

Mei­nes Wis­sens sind das die wich­tigs­ten und ernst­haf­tes­ten Ver­su­che, das Theo­di­zee-Pro­blem zu lösen. Immer wie­der wer­den vor die­sem Hin­ter­grund Argu­men­te vor­ge­bracht, die zur Beant­wor­tung der Fra­ge, war­um Gott so viel Leid zulas­se, bei­tra­gen sollen.

Mei­nes Erach­tens ver­mö­gen kei­ne der vie­len der­ar­ti­gen Bemü­hun­gen zu über­zeu­gen. Stets schei­nen Skep­ti­ker mit ihren kri­ti­schen Ein­wän­den über bes­se­re Argu­men­te zu ver­fü­gen. Sowohl die Brü­cken­an­nah­men als auch die Umge­hungs­ver­su­che erwei­sen sich bei genaue­rer Betrach­tung als eher löch­ri­ge Behäl­ter, die ihren Zweck, näm­lich „das Was­ser des Lebens“ zu holen, nicht erfül­len können.

Aber nach­dem in den Dis­kus­sio­nen ent­schei­den­de Kri­tik­punk­te auf­ge­lis­tet wur­den, gehen wir ein­mal von dem für The­is­ten best­mög­li­chen Fall aus, näm­lich davon, dass einer der vie­len Lösungs­ver­su­che oder sogar alle gelin­gen. Dann wäre in der Tat gezeigt, dass alle Lei­den der Welt gerecht­fer­tigt sind oder aber allein durch Men­schen­hand, also ohne Got­tes Zutun, ver­ur­sacht sind.

Aber damit wäre die Güte Got­tes immer noch nicht gezeigt, und zwar aus fol­gen­dem Grund:

Selbst wenn alle Lei­den der Welt einem höhe­ren Zweck dien­ten, so ist nicht ein­zu­se­hen, wie ein güti­ger Gott auf die Idee kom­men konn­te, eine der­art leid­vol­le Welt aus dem Nichts zu erschaf­fen. Käme ein güti­ges und barm­her­zi­ges Wesen je auf die Idee, eine Welt zu kre­ieren, in der bei­spiels­wei­se Fol­ter gerecht­fer­tigt ist?

Aus der Recht­fer­ti­gung allen Leids folgt also immer noch nicht die Recht­fer­ti­gung der Güte Got­tes. Alles Leid zu recht­fer­ti­gen, ist zwar eine not­wen­di­ge, aber offen­sicht­lich kei­ne hin­rei­chen­de Bedin­gung, um Got­tes Güte zu beweisen.

Aber gehen wir ein wei­te­res Mal von dem für The­is­ten best­mög­li­chen Fall aus, dass es näm­lich doch irgend­wie gelän­ge, Got­tes Güte und Gerech­tig­keit in über­zeu­gen­der Wei­se zu begrün­den. Dann wäre aller­dings nur gezeigt, dass die posi­ti­ven Eigen­schaf­ten Got­tes mit der Wirk­lich­keit ver­träg­lich sind. Es wäre jedoch noch nicht erwie­sen, dass ein sol­cher Gott auch exis­tiert. Zu zei­gen, dass dem Kom­plex an Eigen­schaf­ten namens Gott auch die Eigen­schaft der Exis­tenz zukommt, ist das The­ma von Gottesbeweisen.

Literatur

Zur Theo­di­zee-Pro­ble­ma­tik gibt es eine Rie­sen­fül­le an Arbei­ten. In der fol­gen­den Lite­ra­tur­lis­te kann daher nur eine klei­ne Aus­wahl berück­sich­tigt wer­den, wobei sowohl the­is­ti­sche als auch reli­gi­ons­kri­ti­sche Arbei­ten ihren Platz fin­den. Die ers­te­ren beto­nen zumin­dest die Teil­lö­sung des Theo­di­zee-Pro­blems, die letz­te­ren ver­wei­sen auf des­sen Unlös­bar­keit. Die genann­ten Schrif­ten zeich­nen sich zudem durch rei­che Lite­ra­tur­an­ga­ben aus.

  • Becker­man, A.: Glau­be. Ber­lin 2013.
  • Grün, A.: Womit habe ich das ver­dient? Die unver­ständ­li­che Gerech­tig­keit Got­tes. Mün­chen 2012.
  • Hoers­ter, N.: Der güti­ge Gott und das Übel. Mün­chen 2017.
  • Hume. D.: Dia­lo­ge über natür­li­che Reli­gi­on. Stutt­gart 1981.
  • Jonas, H.: Der Got­tes­be­griff nach Ausch­witz. Eine jüdi­sche Stim­me. Frank­furt 1987.
  • Krei­ner, A.: Gott im Leid. Zur Stich­hal­tig­keit der Theo­di­zee-Argu­men­te. Frei­burg 2005 (2. Aufl.).
  • —: Gott und das Leid. Pader­born 2005 (5. Aufl.).
  • Kant, I.: Über das Miß­lin­gen aller phi­lo­so­phi­schen Ver­su­che in der Theo­di­cee, in: Kants Popu­lä­re Schrif­ten. Ber­lin 2018.
  • Küng. H.: Cre­do. Mün­chen 1992.
  • Leib­niz, G.W.: Theo­di­zee. Vie­le Ausgaben.
  • Lewis, C.S.: Über den Schmerz. Gie­ßen 2012.
  • Mackie, J.L.: Das Wun­der des The­is­mus. Argu­men­te für und gegen die Exis­tenz Got­tes. Stutt­gart 1985.
  • Rus­sell, B.: War­um ich kein Christ bin. Rein­bek 1968.
  • Storch, K. v.: Theo­di­zee. Pader­born 2024 (3. Auflage).
  • Stre­min­ger, G.: Got­tes Güte und die Übel der Welt Das Theo­di­zee-Pro­blem. Tübin­gen 2016 (2. Auflage).
  • —: Die Welt gerät ins Wan­ken. Das Erd­be­ben von Lis­sa­bon im Jah­re 1755 und sei­ne Nach­wir­kun­gen auf das euro­päi­sche Geis­tes­le­ben. Ein lite­ra­ri­scher Essay. Aschaf­fen­burg 2021.
  • Swin­b­ur­ne, R.: Die Exis­tenz Got­tes. Stutt­gart 1987.

WEITERE BEITRÄGE

Freiverantwortlichkeit im Kontext der Suizidassistenz

In der aktu­el­len Aus­ga­be der Zeit­schrift für Medi­zin-Ethik-Recht (ZfMER) ana­ly­siert Prof. Die­ter Birn­ba­cher, Mit­glied im Bei­rat des Hans-Albert-Insti­tuts, die Fra­ge der Frei­ver­ant­wort­lich­keit bei der Sui­zid­as­sis­tenz im Kon­text psy­chi­scher Erkran­kun­gen. Aus­gangs­punkt sei­ner Unter­su­chung ist das Urteil des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts vom Febru­ar 2020, das die Frei­ver­ant­wort­lich­keit als zen­tra­les Kri­te­ri­um für die Zuläs­sig­keit der Hil­fe zur Selbst­tö­tung bestimmt hat.

Weiterlesen »

Rechtsstreit des Gynäkologen Prof. Dr. Joachim Volz: Rede vor dem Amtsgericht Lippstadt

Nach der Fusi­on sei­nes vor­mals evan­ge­li­schen Kran­ken­hau­ses mit einem katho­li­schen Trä­ger darf der Gynä­ko­lo­ge Prof. Joa­chim Volz kei­ne Schwan­ger­schafts­ab­brü­che mehr durch­füh­ren – weder in der Kli­nik noch in sei­ner Pri­vat­pra­xis. Gegen die­se Ein­schrän­kung hat­te Volz Kla­ge beim Amts­ge­richt Lipp­stadt ein­ge­reicht. Flo­ri­an Che­fai (HAI-Direk­to­ri­ums­mit­glied) hielt bei der Kund­ge­bung vor dem Gericht eine Rede, in der er auf die recht­li­chen und ethi­schen Dimen­sio­nen des Falls einging. 

Weiterlesen »

KI: Zwischen Verheißung und Verhängnis

HAI-Direk­to­ri­ums­mit­glied Flo­ri­an Che­fai dis­ku­tiert gemein­sam mit Jan­nis Puhl­mann im „Phi­lo­so­phie Maga­zin“ die Poten­zia­le und Risi­ken Künst­li­cher Intel­li­genz. Die bei­den Phi­lo­so­phen tau­schen ihre Per­spek­ti­ven zur Zukunft der KI aus und beleuch­ten zen­tra­le Fra­gen der aktu­el­len gesell­schaft­li­chen Debat­te – von krea­ti­ven Durch­brü­chen über psy­cho­seför­dern­de Chat­bots bis hin zu syn­the­ti­schem Bewusstsein. 

Weiterlesen »