12. August 2025

Rechtsstreit des Gynäkologen Prof. Dr. Joachim Volz: Rede vor dem Amtsgericht Lippstadt

Nach der Fusion seines vormals evangelischen Krankenhauses mit einem katholischen Träger darf der Gynäkologe Prof. Joachim Volz keine Schwangerschaftsabbrüche mehr durchführen – weder in der Klinik noch in seiner Privatpraxis. Gegen diese Einschränkung hatte Volz Klage beim Amtsgericht Lippstadt eingereicht. Florian Chefai (HAI-Direktoriumsmitglied) hielt bei der Kundgebung vor dem Gericht eine Rede, in der er auf die rechtlichen und ethischen Dimensionen des Falls einging.
Foto: Joachim Volz

Che­fai kri­ti­sier­te die Rol­le der katho­li­schen Kir­che, die trotz Ver­trau­ens­ver­lust in der Bevöl­ke­rung wei­ter­hin restrik­ti­ve Moral­vor­stel­lun­gen durch den Betrieb eige­ner Kli­ni­ken und den Druck auf die Ärz­te­schaft durch­set­ze. Die Kla­ge von Prof. Joa­chim Volz könn­te hier einen weit­rei­chen­den rechts­po­li­ti­schen Wen­de­punkt mar­kie­ren. Denn bei dem Fall gehe es nicht nur um die arbeits­recht­li­che Fra­ge, ob reli­giö­se Par­ti­ku­lar­in­ter­es­sen über die medi­zi­ni­sche Pra­xis bestim­men dür­fen. Mit Blick auf § 218 StGB müs­se eben­so geklärt wer­den, ob es tat­säch­lich einen bedeut­sa­men Unter­schied zwi­schen dem „rechts­wid­ri­gen“ bera­te­nen und dem „rechts­kon­for­men“ medi­zi­ni­schen Schwan­ger­schafts­ab­bruch gibt. Dass es sich dabei um eine rechts­dog­ma­tisch wider­sprüch­li­che Rechts­kon­stel­la­ti­on han­de­le, sei offen­sicht­lich. Denn mit der Ver­pflich­tung des Staa­tes, ein aus­rei­chen­des und flä­chen­de­cken­des Ange­bot sowohl ambu­lan­ter als auch sta­tio­nä­rer Ein­rich­tun­gen zur Vor­nah­me von Schwan­ger­schafts­ab­brü­chen sicher­zu­stel­len (BVerfGE 88, 203 [350]), lau­fe die Rege­lung letzt­lich dar­auf hin­aus, dass der Staat „von Rechts wegen zum Unrecht ver­pflich­tet“ sei.

In sei­ner Rede griff Che­fai die zen­tra­len The­sen der HAI-Stel­lung­nah­me „Schwan­ger­schafts­ab­bruch im libe­ra­len Rechts­staat“ auf und erläu­ter­te die Defi­zi­te der gel­ten­den Rechts­la­ge. § 218 StGB sei kein ver­nünf­ti­ger Kom­pro­miss, so Che­fai, son­dern „eine unzu­läs­si­ge Kom­pro­mit­tie­rung des Selbst­be­stim­mungs­rechts von Frau­en“. Auch das kirch­li­che Arbeits­recht gehö­re grund­sätz­lich auf den Prüf­stand, denn die­ses sei unver­ein­bar mit der welt­an­schau­li­chen Neu­tra­li­tät des Staa­tes, der Berufs­frei­heit der Ärz­tin­nen und Ärz­te und dem Anspruch von Pati­en­tin­nen auf eine medi­zi­nisch ange­mes­se­ne Behandlung.

Joa­chim Volz wird in sei­nem Ver­fah­ren (wie zuvor die Gie­ße­ner Ärz­tin Kris­ti­na Hänel, deren Fall zur Abschaf­fung des § 219a StGB führ­te) vom „Insti­tut für Welt­an­schau­ungs­recht“ (ifw) und der Giord­a­no-Bru­no-Stif­tung (gbs) beglei­tet.  Die juris­ti­schen Hin­ter­grün­de des Falls wer­den auf der Web­site des „Insti­tuts für Welt­an­schau­ungs­recht“ (ifw) erläu­tert.

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