Hans-Albert-Institut

9. Dezember 2024

Feyerabend-Konferenz in Maribor

Am Philosophischen Institut der Universität Maribor im Norden Sloweniens fand am 3. und 4. Dezember 2024 eine Tagung anlässlich des 100. Geburtstags des Philosophen Paul Feyerabend (1924-1994) statt. Das inhaltlich vielseitige Symposium würdigte Feyerabend als einen großen Kritiker, der die Wissenschaftsphilosophie des 20. Jahrhunderts mit herausfordernden Beiträgen bereichern konnte.
Jonas Pöld, Fotoausschnitt: © Ralf Fröchtenicht

Nach­dem er zu Beginn sei­ner wis­sen­schaft­li­chen Lauf­bahn zunächst noch gemein­sam mit Karl Pop­per geforscht und des­sen Werk zur Open Socie­ty über­setzt hat­te, kehr­te sich Feyer­abend vom Kri­ti­schen Ratio­na­lis­mus ab und ent­wi­ckel­te einen “erkennt­nis­theo­re­ti­schen Anar­chis­mus”. Ins­be­son­de­re sein Haupt­werk “Against Method” (1975) mit dem berühm­ten Cre­do “Any­thing goes!” brach­te Feyer­abend den Ruf ein, das “Enfant ter­ri­ble” der Wis­sen­schafts­phi­lo­so­phie zu sein. Im Ratio­na­lis­mus sah Feyer­abend das Risi­ko einer Ein­engung der Wis­sen­schaft, und in der Wis­sen­schaft die Gefahr einer Ein­engung der libe­ra­len Gesell­schaft. Hin­ter Feyer­abends oft­mals pro­vo­zie­rend und pole­misch for­mu­lier­ten The­sen ver­ste­cken sich jedoch fein­sin­ni­ge Argu­men­te und Ana­ly­sen, wie die Bei­trä­ge des Sym­po­si­ums zeig­ten. Die Kon­fe­renz deck­te dabei ein wei­tes inhalt­li­ches Spek­trum ab: Von der For­schung bis­lang kaum unter­such­te phi­lo­lo­gi­sche Details der Edi­ti­ons­ge­schich­te von Feyer­abends Wer­ken wur­den eben­so the­ma­ti­siert wie der Ein­fluss Feyer­abends auf aktu­el­le Debat­ten, etwa zu Gedan­ken­ex­pe­ri­men­ten als Erkennt­nis­werk­zeug, zu Theo­rien von Gesund­heit und Krank­heit oder zur Fra­ge, wie plu­ra­lis­tisch Erkennt­nis­theo­rie sein kann, ohne in Belie­big­keit zu ent­glei­ten. Des Wei­te­ren ging es um die Ein­ord­nung Feyer­abends im Ver­hält­nis zu ande­ren bedeu­ten­den Wis­sen­schafts­phi­lo­so­phen sei­ner Zeit wie Karl Pop­per, Tho­mas Kuhn, Imre Laka­tos oder Hans Albert.

HAI-Direk­tor Jonas Pöld prä­sen­tier­te in einem gemein­sam mit HAI-Direk­tor Flo­ri­an Che­fai ent­wi­ckel­ten Vor­trag das Ver­hält­nis von Albert und Feyer­abend, die Freun­de, Kol­le­gen und gegen­sei­ti­ge Kri­ti­ker waren, wie sich u.a. ihrem Brief­wech­sel ent­neh­men lässt. Im Zen­trum des Vor­trags stan­den die sehr unter­schied­li­chen Auf­fas­sun­gen der bei­den Wis­sen­schafts­phi­lo­so­phen zum Kri­ti­schen Ratio­na­lis­mus und zu den Funk­tio­nen der Wis­sen­schaft in einer demo­kra­ti­schen Gesellschaft. 

Das Sym­po­si­um ergab ein Gesamt­bild Paul Feyer­abends als Phi­lo­so­phen, der neben sei­ner Fähig­keit, Schwach­stel­len in Argu­men­ten zu erken­nen, gera­de durch die oft über­se­he­ne Ambi­va­lenz sei­nes Den­kens für die Wis­sen­schafts­phi­lo­so­phie unge­bro­chen rele­vant ist. Der Anlass zu wei­ter­füh­ren­den his­to­ri­schen und sys­te­ma­ti­schen Deu­tun­gen sei­nes Werks bleibt somit nach wie vor gegeben.

Das Hans-Albert-Insti­tut dankt Bojan Borst­ner, Tadej Todo­ro­vić und Bor­ut Trpin für Ihre Gast­freund­schaft und die her­vor­ra­gen­de Orga­ni­sa­ti­on der Konferenz.

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