300 JAHRE ADAM SMITH
»Ein Fixstern der Aufklärung«
Interview mit Prof. Dr. Gerhard Streminger
Im Juni jährt sich der 300. Geburtstag von Adam Smith. Gerhard Streminger, Philosoph und Beiratsmitglied des Hans-Albert-Instituts, hat eine Biografie über den schottischen Aufklärer geschrieben, die kürzlich als E‑Book bei Rowohlt veröffentlicht wurde. Im Interview erklärt er, was das Denken von Smith auszeichnet und welche Missverständnisse bei der Interpretation seines Werks kursieren.
Gerhard Streminger: Den Hauptgrund für eine lohnende Beschäftigung mit Smith sehe ich darin, dass er – im Gegensatz zu vielen Theoretikern der Politischen Ökonomie – in seinem berühmten Werk Wealth of Nations sowohl die Bedeutung des Marktes als auch diejenige des Staates beleuchtet. In seinem System der „natürlichen Ordnung vollkommener Freiheit und (!) Gerechtigkeit“ verschränken sich die Unsichtbare Hand des Marktes und die Sichtbare Hand des Staates.
In der Planwirtschaft – und den feudalen Systemen, die Smith vorfand – wird von oben regiert, ein Entwurf für die Wirtschaft erstellt und den Staatsbürgern diktiert. Ein Markt, wie wir ihn kennen, der im Wesentlichen auf Eigeninitiative beruht, ist verpönt, wodurch individuelle Freiheiten extrem eingeschränkt sind – also die Wünsche nach Selbstbestimmung, nach geistiger und kultureller Veränderung und nach einer Verbesserung der wirtschaftlichen Situation. Der Name Smith ist eng verbunden mit einer Kritik an solchen Planwirtschaften einerseits und einem Plädoyer für die Bedeutung des Marktes andererseits. Durch das freie Spiel der Marktkräfte können sich, so Smith, Angebot und Nachfrage in bestmöglicher Weise anpassen und rasch zum natürlichen Preis tendieren, der die Summe der Produktionskosten widerspiegelt.
Im Neoliberalismus und den dort zu findenden Brandreden für eine freie Marktwirtschaft gilt der Staat als Problem und der Markt als Lösung. Deshalb werden staatliche Aufgaben auf Weniges, auf Exekutive, Legislative und Landesverteidigung beschränkt. Aber nach Smith hat der Staat darüber hinaus weitere zentrale Aufgaben zu erfüllen, wovon einige der wichtigsten erwähnt sind: Errichtung einer volkswirtschaftlich notwendigen – aber betriebswirtschaftlich unprofitablen – Infrastruktur; Aufbau eines allgemeinen Bildungssystems, um die negativen Folgen der Arbeitsteilung zu mildern; die Sicherung des Marktes durch Verhinderung von Kartellbildungen sowie eine gerechte Besteuerung aller Marktteilnehmer, wobei Reiche kräftiger zur Kasse gebeten werden sollen als andere.
Smith wird heute vor allem mit dem Neoliberalismus und der Forderung nach freien Märkten in Verbindung gebracht. Wieso?
Smith setzte sich mit Nachdruck für den Freihandel ein, weil dieser seiner Meinung nach drei große Vorteile besitzt: Erstens können Mängel, die in einem bestimmten Gebiet auftreten, ohne Handelsgrenzen bestmöglich ausgeglichen werden. Zweitens kommen durch freien Handel in jedem Land die natürlichen Vorteile zum Tragen, die es gegenüber anderen besitzt: Daran wird das Land verdienen, und die Waren werden insgesamt möglichst billig und für viele erschwinglich sein. Smiths Paradebeispiel ist hier der Weinbau in Frankreich sowie die Schafzucht in Schottland: Natürlich könnten auch in seiner schottischen Heimat mit erwärmtem Mauerwerk und besonders kultivierten Böden gute Weine gekeltert werden. Aber eine Flasche Wein dürfte dann zehn Mal so viel kosten wie eine aus Frankreich. Drittens werden durch den freien Handel die Länder auf wirtschaftlichem Gebiet voneinander abhängig. Auf lange Sicht wird dieser „Wandel durch Handel“, so hofft Smith, zum ewigen Frieden führen.
Der Autor des Wealth of Nations sprach sich also für den freien Handel aus, plädierte allerdings für eine behutsame Einführung desselben, damit sich die heimische Wirtschaft an die neuen Umstände anpassen könne und Massenarbeitslosigkeit vermieden werde.
Es ist also richtig, dass Smith als Vordenker des Neoliberalismus gedeutet wird?
Bezüglich des Freihandels ist die neoliberale Deutung meines Erachtens grundsätzlich richtig. Aber sie geht fehl, wenn behauptet wird, Smith plädierte für Selbstsucht als Triebfeder des Wirtschaftens und spräche gleichsam von einem „Segen des Egoismus“. Alle Neoliberale stützen sich dabei in ihrer Deutung auf die berühmte „Metzger, Brauer, Bäcker“- Passage zu Beginn des Wealth of Nations. Smith schreibt dort, dass wir nicht vom Wohlwollen anderer jene Güter erwarten, die wir zum Leben brauchen, sondern indem wir an das Selbstinteresse der Verkäufer appellieren.
Nun spielt Wohlwollen im Prozess des Tausches von Waren tatsächlich eine untergeordnete Rolle, denn alle Teilnehmer erwarten sich vom Verkauf bzw. Kauf einer Ware einen Vorteil. Wohlwollen ist anderswo, nämlich im emotionalen Nahbereich von zentraler Bedeutung, etwa wenn wir Kindern ohne viel zu denken das geben, was sie benötigen. Wenn wir nun im Tausch von Waren an das „Selbstinteresse“ der Verkäufer appellieren, so versteht Smith darunter nicht einfach die Selbstsucht oder den Egoismus des homo oeconomicus, sondern etwas viel Komplexeres. Insbesondere in seiner Ethik betont Smith, dass es im wahren Interesse aller, also gerade auch im Eigeninteresse der Unternehmer ist, ein gutes, glückliches Leben zu führen. Ein solches ist jedoch nur möglich, wenn sie auch moralisch sind. Aber Moralität schließt nicht nur die Sorge um sich selbst ein, sondern auch die Sorge um andere. Da Selbstsucht und Egoismus somit nicht im wahren Interesse der Unternehmer ist, sollten sie sich, so Smith, auch aus Eigeninteresse wie faire Sportler verhalten.
Es war diese Gesinnung und keine ungezügelte Bereicherungssucht, die an der geistigen Wiege der Marktwirtschaft stand. Diese Haltung fand in einem kultivierten Eigeninteresse die Triebkraft zur Verbesserung der Gesellschaft. Es stimmt somit nicht, wie Neoliberale oft zu behaupten pflegen, dass nur die Konsequenzen wirtschaftlichen Handelns entscheidend seien und dass für Smith der moralische Wert der Gesinnung dabei keine Rolle gespielt hätte.
Woran liegt es, dass Smith so oft missverstanden wurde?
Der Grund dürfte in der Tatsache zu finden sein, dass nach den Napoleonischen Kriegen die Forderungen nach mehr Markt und Freihandel zu enormem Reichtum und materieller Besserstellung vieler geführt hatte. Dass Smith aber den Wohlstand (wealth) der Menschen, nicht bloß den Reichtum (richness) der Industrien im Auge gehabt hatte, wurde ignoriert. Jene späteren Kapitel im Wealth of Nations, in denen sich der Autor Gedanken dazu machte, wurden überblättert; und Smiths ethische Schrift, die Theory of Moral Sentiments wurde schlichtweg vergessen. Ein ethisches Reflektieren über den gewonnenen Reichtum lag in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts offenbar nicht im Trend der Zeit. Dies ist umso bedauerlicher, als Smith nur zwei Bücher veröffentlichte und seine ethische Schrift zudem für wichtiger gehalten hatte als den Wealth of Nations. In seinen letzten Lebensjahren überarbeitete er auch nicht seine Politische Ökonomie, sondern die Theory of Moral Sentiments – und schrieb so viele Ergänzungen, dass das Buch nun in zwei Bänden publiziert werden musste.
Welche Voraussetzungen müssen laut Smith für ein gerechtes Wirtschaftssystem erfüllt sein?
Ein gerechtes Wirtschaftssystem existiert für Smith erst dann, wenn der Staat wichtige Aufgaben übernimmt. Dieser muss sich, gleichsam als – im besten Fall – institutionalisiertes Wohlwollen, darum kümmern, dass es Arbeiterorganisationen, hohe Löhne, Arbeiterschutz und Bildung für alle gibt, und dass die Kreditzinsen nicht über fünf Prozent steigen, um Spekulationen zu verhindern – ein investment banking, wie wir es kennen, würde Smith also auf keinen Fall gutheißen. Der Staat muss zudem dafür sorgen, dass der Markt funktioniert und sich Unternehmer wie faire Sportler verhalten.
Wie würde Smith die gegenwärtige Situation beurteilen?
Er wäre wohl beeindruckt von der gelungenen Globalisierung der Wirtschaft, vom Ausmaß an Bildung und – trotz allem – von der Qualität der Infrastruktur und des Gesundheitswesens. Aber ein Versagen des Staates sähe er in den Marktverzerrungen, die durch ungerechte oder mangelnde Besteuerung entstanden sind. Dass manche übernational tätigen Großkonzerne keine Steuern in jenen Ländern zahlen, in denen sie ihren Profit erzielen, während die heimischen Betriebe in den Einkaufsstraßen ihre Steuerlast tragen, ist eine unakzeptable Marktverzerrung. Ein anderes Beispiel wäre: Die 30 Großbanken sind angeblich too big to fail. Bei Licht besehen heißt das, dass sie zu mächtig sind, um noch den Marktmechanismen unterworfen zu sein. In diesen beiden Fällen sähe Smith ein folgenreiches Versagen des Staates und eine unnötige Schaffung neuer, demokratisch nicht legitimierter riesiger Machtzentren.
Was für ein Mensch war Smith im persönlichen Umgang? Welche Charakterzüge zeichneten ihn aus?
Smith gilt allgemein als ziemlich spröde, gar sauertöpfisch und sehr professoral. Wahr ist jedoch, dass er überaus empathisch, wohlwollend und extrem freigebig war. So verschenkte er den Großteil seines Vermögens an arme Menschen. Für Smith war Wohltätigkeit eine Sache des Herzens und der Hände. Aber neben diesen stark ausgebildeten altruistischen Charaktereigenschaften hatte er zeitlebens ein ziemlich hitziges Gemüt, weshalb der von ihm propagierte Stoizismus für ihn auch ein existentielles Anliegen war. So sollen Sitzungen an der Universität Glasgow gelegentlich in Handgreiflichkeiten geendet haben. Und als der von Todesängsten geplagte Dr. Johnson, der damalige Doyen der englischen Literatur, ihn wegen Humes gelassener Einstellung gegenüber dem Tod als Lügner bezeichnete, soll ihn Smith als „Hurensohn“ beschimpft und erbost den Raum verlassen haben.
Adam Smith war eng befreundet mit dem Philosophen David Hume. Was verband die beiden Denker?
Die Freundschaft zwischen David Hume und Adam Smith ist eine der wenigen Freundschaften zweier genial begabter Menschen, die die Geschichte kennt. Die beiden Fixsterne am Himmel der Aufklärung, des Humanismus und Liberalismus hatten vieles gemeinsam: Beide entstammten alten schottischen Familien; beide Väter waren Rechtsanwälte; beide wuchsen praktisch vaterlos auf und beide hatten tiefreligiöse Mütter.
Aber Smith wurde in einer kleinen, sehr lebendigen Handels- und Hafenstadt groß, während Hume im Sommer auf einem verschlafenen Gut im Süden Schottlands und in den Wintermonaten im kulturell reichen und kosmopolitisch gesinnten Edinburgh lebte. Während Hume in der Hauptstadt Jura studierte, ging Smith im damals noch eher provinziellen Glasgow zur Universität, fand dort jedoch in der Person des Philosophen Francis Hutcheson einen besonders anregenden Lehrer. Hume hingegen fand nie einen wirklich guten Pädagogen und war zudem religionskritischer gesinnt als Smith, weshalb seine beiden Bewerbungen um einen Lehrstuhl für Philosophie kläglich scheiterten. Smith jedoch wurde mit 28 Jahren Professor für Logik an der Universität Glasgow, ein Jahr später erhielt er den Lehrstuhl für Moralphilosophie.
Wie wurde Smith von Hume intellektuell beeinflusst?
Neben Humes Treatise of Human Nature, jenem dreibändigen Werk, das heute neben John Lockes Essay concerning Human Understanding als das wichtigste Zeugnis der englischsprachigen Philosophie gilt, waren es zwei weitere Schriften des um 12 Jahre Älteren, die auf Smith einen nachhaltigen Eindruck machten: Die 1751 veröffentliche Enquiry concerning the Principles of Morals sowie die im darauffolgenden Jahr publizierten Political Discourses.
In der „Untersuchung über die Prinzipien der Moral“ entwickelte Hume – im Anschluss an Hutcheson – eine Gefühlsethik. Seiner Ansicht nach sind es letztlich Empfindungen, mit deren Hilfe wir das moralisch Gute und ästhetisch Schöne erfassen. Der Verstand vermag zwar in Verbindung mit Erfahrung und Experiment grundsätzlich Wahres und Falsches zu erkennen, nicht jedoch Richtiges und Unrichtiges, Schönes und Hässliches. Dafür sind spezielle Gefühle zuständig. Aber um diese aus der Fülle an Emotionen freizulegen, bedarf es des Verstandes. Denn erst durch logisch-diskursives Denken, mit dessen Hilfe nach Erklärungen gesucht und mögliche Konsequenzen erschlossen werden, sowie mit Hilfe der Einbildungskraft, die uns in die Lage anderer versetzt und so verstehen lässt, gelangen jene spezifischen Gefühle an die Oberfläche des Bewusstseins. Um das Gute und Schöne erkennen zu können, sind Verstandesleistungen somit nötig, aber nicht hinreichend, da unser Wertebewusstsein kein rein rationales Wissen ist.
Diese Überlegungen baut Smith in seiner 1759 veröffentlichten Theory of Moral Sentiments weiter aus, wobei viele seiner Reflexionen um einiges subtiler sind als diejenigen Humes. Wesentlich deutlicher ist seine Betonung der Notwendigkeit einer Perspektive der Unparteilichkeit im Prozess des Erkennens moralischer Werte. Dieses Beharren auf ein zusätzliches kognitives Bemühen dürfte auf Immanuel Kant einen enormen Einfluss ausgeübt haben, der Smith seinen „Liebling“ genannt haben soll.
Eine dritte wichtige Quelle, aus der Smith zahlreiche Humesche Anregungen schöpfte, waren die „Politischen Diskurse“. Hume entwickelt darin die Grundgedanken der klassischen Ökonomie, wobei etwa sein Plädoyer für freien Handel Smiths diesbezügliche Erörterungen an Eloquenz übertrifft. Humes Formulierungen sind wahrscheinlich das Prägnanteste, das jemals zu diesem Thema geschrieben wurde. Die vielen Gedankenfäden, die Smith aus dieser und vielen anderen Quellen bezog, verdichtete er dann zum Wealth of Nations, dem großen Lehrbuch der Wirtschaftswissenshaft. In diesem Meisterwerk nennt Smith Freund Hume „den bei weitem berühmtesten Philosophen und Historiker unserer Zeit“.
1777, einige Monate nach Humes Tod, veröffentlichte Smith seine Totenrede auf Hume und meinte im Schlusssatz, dass er ihn immer als denjenigen erachtet habe, der „dem Ideal eines vollkommen weisen und moralischen Menschen so nahekam, wie es das Wesen menschlicher Schwäche vielleicht überhaupt erlaubt“. Für diese Heiligsprechung des großen Ungläubigen, des Vaters der modernen, empiristisch-skeptisch orientierten Philosophie, erntete Smith wüste Beschimpfungen und den Vorwurf moralischer Defizite.
Inwiefern kann Smith in die Traditionsgeschichte der Aufklärung gestellt werden?
Smiths Überlegungen zur Bedeutung des Marktes für die Gesellschaft war mitverantwortlich für die Befreiung oder Emanzipation des Individuums. Noch im 17. Jahrhundert konnte man sich eine soziale Ordnung nur als eine von oben eingesetzte und immer wieder zu korrigierende Ordnung vorstellen. Die Obrigkeit war somit Wirtschafter und Verwalter des Seelenheils der Untertanen. Dieser Auffassung setzte Smith die Idee einer stabilen und liberalen Ordnung entgegen, in der alle Mitglieder einer Gesellschaft ihren Lebensplan weitgehend verwirklichen können und, etwa durch ökonomische Aktivität, andere dadurch zumeist sogar noch fördern. Die Annahme einer natürlichen, nicht-autoritären Ordnung begründete Smith zum einen mit dem Hinweis auf die nach Moralität strebende menschliche Natur und zum anderen mit den häufig wohltätigen Mechanismen des Marktes. Bedingung ist allerdings, dass Markt und Individuen eingebettet sind in ein aufgeklärtes Staatsgefüge, das die Grundregeln vorgibt und deren Nichtbefolgung ahndet sowie wichtige Aufgaben übernimmt – insbesondere, wie schon erwähnt, auf dem Gebiet der Infrastruktur und Bildung.
Welches Verhältnis hatte Smith zur Religion?
Smith sprach sich für die strikte Trennung von Staat und Kirche aus, und zwar in dem Sinn, dass der Staat für keine religiöse Glaubensgemeinschaft Partei ergreift. Folge davon wäre, so hofft Smith, dass sich die Religionsgemeinschaften bald aufspalteten und damit an Macht und Einfluss verlören. Kleinere Kirchen sind, so Smith weiter, zwar machtloser, aber ihre Moral ist „oftmals unsozial oder zu streng“. Dagegen sollte der moderne Staat konkrete Maßnahmen ergreifen, und zwar durch die Förderung des Unterrichts der Naturwissenschaft und der Philosophie, den wichtigsten Heilmitteln „gegen das Gift der Schwärmerei und des Aberglaubens“. Zudem sollte der Staat öffentliche Zerstreuungen und fröhliche Feste fördern, „die immer schon Gegenstand der Furcht und des Hasses aller Aufwiegler waren“. Aufklärung und Unterhaltung sind also nach Smith die besten Arzneien gegen religiöse Engstirnigkeit und sektiererischen Fanatismus.
Lässt sich daraus schließen, dass sich Smith als Atheist verstanden hat?
Die negativen Urteile gegenüber konfessionell gebundenen Religionsgemeinschaften bedeuten nicht, dass Smith irreligiös gewesen wäre. Er war vielmehr Deist, also Anhänger jener oft „aufgeklärt“ genannten Form von Religiosität, die zwischen der neu entstandenen Wissenschaft und der alten Religion vermitteln wollte, und der alle schottischen Aufklärer außer Hume nahestanden. Isaac Newton hatte gezeigt, dass mit der Annahme einer Anziehung der Massen sowohl das Fallen eines Apfels als auch die Bewegungen der Planeten erklärt werden könne. Es herrsche also im Universum Ordnung, wodurch Leben ermöglicht wurde. Aufgrund dieser Erkenntnis schlossen die Deisten, eben auch Smith, auf die Existenz eines gütigen Schöpfers, der der Natur seine weisen Pläne vorschrieb.
Welche Bedeutung hat Smith für den Kritischen Rationalismus, wie er von den Philosophen Karl Popper und Hans Albert vertreten wurde?
Smiths System der „natürlichen Ordnung vollkommener Freiheit und Gerechtigkeit“ kommt Karl Poppers Vorstellungen einer offenen Gesellschaft sehr nahe. Durch den Markt, durch Handel und Gewerbe öffneten sich – im Vergleich zu feudalen Zeiten – große Freiräume. Abgesehen von der größeren Möglichkeit zu kreativem, innovativem Handeln durch die Arbeitsteilung entstanden auch neue, freiere soziale Beziehungen. Denn Unternehmer hängen nicht wie in feudalen Zeiten von einem oder einigen wenigen Adeligen ab, sondern von vielen Kunden. Diese wiederum haben zumindest in einer größeren Stadt mehr Möglichkeiten, aus verschiedenen Unternehmen zu wählen.
Der Markt führte zudem zu mehr Ordnung und Sicherheit, weil die Macht sich auffächerte und es schließlich zur Gewaltenteilung zwischen Staat, Wirtschaft und unabhängiger Justiz kam. Erst diese Gewaltenteilung garantiert die Freiheit einzelner und die Gleichheit aller vor dem Gesetz. Im dritten Buch des Wealth of Nations zeichnet Smith die Entwicklung Europas aus einem Zustand feudaler Despotie zu demokratischeren Machtverhältnissen nach, wobei die Unsichtbare Hand des Marktes die entscheidende Rolle spielte. Denn niemand dachte daran, eine Demokratie zu schaffen: Die Adeligen pflegten vor allem ihre Eitelkeit, und die wenigen Händler interessierte vor allem ihr Einkommen. Und doch waren nach Jahrhunderten mehr Freiheit und mehr Sicherheit die nicht-intendierten Folgen ihres Handelns.
Alle diese Analysen passen vorzüglich zu Karl Poppers Konzeption einer offenen Gesellschaft. Der von Smith verteidigte Deismus fügt sich allerdings nicht in kritisch-rationales Denken. Schon Hume hatte grundlegende Bedenken geäußert. Seiner Meinung nach lässt die Weltordnung, in der es auch Tod, Krankheit, Leid, Erdbeben, Einschläge von Kometen, Ungerechtigkeit und Krieg gibt, auf keinen gütigen Gott schließen. In seinen Dialogues concerning Natural Religion arbeitet er seine Kritik am Deismus detailliert aus. Ob der Brisanz des Inhalts veröffentlichte Hume diese Arbeit zu Lebzeiten nicht, wollte aber unbedingt die posthume Ausgabe sicherstellen und ersuchte Freund Smith wiederholt, ihm diesen letzten Wunsch zu erfüllen. Aber dieser lehnte ab, auch noch an Humes Sterbebett.
Es ist das Theodizeeproblem, das die Prinzipien des Deismus fundamental infrage stellt. Hume hatte die entscheidenden kritischen Argumente bereits vorgebracht – und Hans Albert würde, davon bin ich überzeugt, nicht dem Smithschen Deismus, sondern der Humeschen Kritik daran vollinhaltlich zustimmen, ergänzt durch den Hinweis auf Darwins Evolutionstheorie, der zufolge die Ordnung in der Natur ganz anders, nämlich durch Anpassung erklärt werden könne.
Smiths Forschergeist war im ruhigen, wenn auch etwas seichten Wasser des Deismus vor Anker gegangen, wo keine kalten Strömungen aus der Tiefe die Oberfläche erreichen konnten. Er hielt an einer Letztbegründung in Form einer zweckbestimmten, von einem wohlwollenden Gott geschaffenen Ordnung fest. In diesem Punkt entschied sich der große Aufklärer gegen die Einsichten der Vernunft. Smith überwand seine Ängste vor einem „vaterlosen Kosmos“, indem er – trotz aller Guckkästen des Unerträglichen und der Fülle resignierten Elends – es sich in einer metaphysischen Hängematte bequem machte.
Worüber würden Sie sich gerne mit Smith unterhalten, wenn er heute noch leben würde?
Ich hätte Scheu, ihn direkt dazu zu befragen, versuchte aber, Smith in ein Gespräch zu verwickeln, um mehr zu erfahren über seine Großzügigkeit und seine ausgeprägte empathische Fähigkeit, an der emotionalen Situation anderer teilzuhaben. Der Begründer der Wirtschaftswissenschaft hatte, wie schon erwähnt, einen Großteil seines Vermögens an Arme verschenkt, weshalb bei seinem Begräbnis im Juli 1790 Menschen zu sehen waren, die üblicherweise einem Universitätsprofessor nicht die letzte Ehre erweisen.
Sodann interessierte mich seine Meinung zur größten Krise unserer Tage, vielleicht der Menschheit überhaupt – also zum Klimawandel. Smith wäre gewiss offen für diese Frage und keineswegs überrascht, dass die Unsichtbare Hand des Marktes gelegentlich an Arthritis leidet und schrecklich danebengreift. Denn zum einen hatte er im Zusammenhang mit der Arbeitsteilung selbst beobachtet, dass die exzessive Teilung der Arbeit zur geistigen Verkümmerung der Arbeitenden führt – und aufgrund dieser Tatsache gefordert, dass der Staat durch Bildung eingreifen müsse, um diese negativen und demokratiebedrohenden Konsequenzen abzumildern. Heute sind es ökologische Krisen, die sich – von Menschen unbeabsichtigt – aus dem Marktgeschehen ergeben haben. Zum anderen vertrat Smith als Deist einen sehr positiven Naturbegriff, sollen sich doch in der Natur die Gedanken Gottes spiegeln. Seiner Meinung nach wäre es daher dringend geboten, Gottes Schöpfung zu bewahren.
Welche konkreten Antworten würde Smith hierzu vorschlagen?
Wahrscheinlich verwiese er zunächst auf den innovativen menschlichen Geist, der im Zusammenhang mit den Mechanismen des Marktes manches ökologische Problem lösen werde. Aber sollte dies nicht genügen, müsste – so der Moralphilosoph Smith – die Industrie schrumpfen. Den naheliegenden Einwand und die existentielle Befürchtung, dass dann Hunger und Verelendung drohten, begegnete er wahrscheinlich mit dem Argument, dass in den 70er Jahren die Industrie nur halb so groß war wie heute und würde rhetorisch fragen, ob es uns damals so viel schlechter ergangen sei.
Auf die Frage, warum ökologische Probleme im Wealth of Nations keine Rolle spielen, würde Smith vermutlich erwidern, dass es damals vor dem Hintergrund großer Not um das Problem gegangen sei, wie mehr Waren und diese billiger produziert werden könnten. Aber heute ginge es um etwas ganz anderes, nämlich um die Überlebensfrage, wie wir mit weniger besser leben, und es bestünde die Notwendigkeit, ehestmöglich nur noch das zu produzieren, was wiederverwertet werden könne.
Auf die wiederholte kritische Frage, ob dies nicht gänzlich utopisch sei, da ein solcher Umbau der Gesellschaft einen allgemeinen großen finanziellen Verlust bedeute, würde der Moralphilosoph vermutlich antworten, dass die Grundbedürfnisse aller – bei richtiger Verteilung – ohnedies gedeckt seien und dass es im Grunde auch heute nicht um Reichtum, sondern um das Wohlergehen der Menschen gehe, um den Wohlstand der Nationen. Um das zu verstehen und wirklich ernst zu nehmen, seien die Einsichten der stoischen Philosophie besonders wichtig – wie auch das Bewusstwerden der Tatsache, dass viele der besten Dinge im Leben ohnehin umsonst seien.
Im Juni jährt sich der 300. Geburtstag von Adam Smith. Gerhard Streminger, Philosoph und Beiratsmitglied des Hans-Albert-Instituts, hat eine Biografie über den schottischen Aufklärer geschrieben, die kürzlich als E‑Book bei Rowohlt veröffentlicht wurde. Im Interview erklärt Streminger, was das Denken von Smith auszeichnet und welche Missverständnisse bei der Interpretation seines Werks kursieren.
Adam Smith gilt als Begründer der modernen Nationalökonomie. Warum lohnt es, sich heute noch mit ihm zu befassen?
Den Hauptgrund für eine lohnende Beschäftigung mit Smith sehe ich darin, dass er – im Gegensatz zu vielen Theoretikern der Politischen Ökonomie – in seinem berühmten Werk Wealth of Nations sowohl die Bedeutung des Marktes als auch diejenige des Staates beleuchtet. In seinem System der „natürlichen Ordnung vollkommener Freiheit und (!) Gerechtigkeit“ verschränken sich die Unsichtbare Hand des Marktes und die Sichtbare Hand des Staates.
In der Planwirtschaft – und den feudalen Systemen, die Smith vorfand – wird von oben regiert, ein Entwurf für die Wirtschaft erstellt und den Staatsbürgern diktiert. Ein Markt, wie wir ihn kennen, der im Wesentlichen auf Eigeninitiative beruht, ist verpönt, wodurch individuelle Freiheiten extrem eingeschränkt sind – also die Wünsche nach Selbstbestimmung, nach geistiger und kultureller Veränderung und nach einer Verbesserung der wirtschaftlichen Situation. Der Name Smith ist eng verbunden mit einer Kritik an solchen Planwirtschaften einerseits nd einem Plädoyer für die Bedeutung des Marktes andererseits. Durch das freie Spiel der Marktkräfte können sich, so Smith, Angebot und Nachfrage in bestmöglicher Weise anpassen und rasch zum natürlichen Preis tendieren, der die Summe der Produktionskosten widerspiegelt.
Im Neoliberalismus und den dort zu findenden Brandreden für eine freie Marktwirtschaft gilt der Staat als Problem und der Markt als Lösung. Deshalb werden staatliche Aufgaben auf Weniges, auf Exekutive, Legislative und Landesverteidigung beschränkt. Aber nach Smith hat der Staat darüber hinaus weitere zentrale Aufgaben zu erfüllen, wovon einige der wichtigsten erwähnt sind: Errichtung einer volkswirtschaftlich notwendigen – aber betriebswirtschaftlich unprofitablen – Infrastruktur; Aufbau eines allgemeinen Bildungssystems, um die negativen Folgen der Arbeitsteilung zu mildern; die Sicherung des Marktes durch Verhinderung von Kartellbildungen sowie eine gerechte Besteuerung aller Marktteilnehmer, wobei Reiche kräftiger zur Kasse gebeten werden sollen als andere.
Smith wird heute vor allem mit dem Neoliberalismus und der Forderung nach freien Märkten in Verbindung gebracht. Wieso?
Smith setzte sich mit Nachdruck für den Freihandel ein, weil dieser seiner Meinung nach drei große Vorteile besitzt: Erstens können Mängel, die in einem bestimmten Gebiet auftreten, ohne Handelsgrenzen bestmöglich ausgeglichen werden. Zweitens kommen durch freien Handel in jedem Land die natürlichen Vorteile zum Tragen, die es gegenüber anderen besitzt: Daran wird das Land verdienen, und die Waren werden insgesamt möglichst billig und für viele erschwinglich sein. Smiths Paradebeispiel ist hier der Weinbau in Frankreich sowie die Schafzucht in Schottland: Natürlich könnten auch in seiner schottischen Heimat mit erwärmtem Mauerwerk und besonders kultivierten Böden gute Weine gekeltert werden. Aber eine Flasche Wein dürfte dann zehn Mal so viel kosten wie eine aus Frankreich. Drittens werden durch den freien Handel die Länder auf wirtschaftlichem Gebiet voneinander abhängig. Auf lange Sicht wird dieser „Wandel durch Handel“, so hofft Smith, zum ewigen Frieden führen.
Der Autor des Wealth of Nations sprach sich also für den freien Handel aus, plädierte allerdings für eine behutsame Einführung desselben, damit sich die heimische Wirtschaft an die neuen Umstände anpassen könne und Massenarbeitslosigkeit vermieden werde.
Es ist also richtig, dass Smith als Vordenker des Neoliberalismus gedeutet wird?
Bezüglich des Freihandels ist die neoliberale Deutung meines Erachtens grundsätzlich richtig. Aber sie geht fehl, wenn behauptet wird, Smith plädierte für Selbstsucht als Triebfeder des Wirtschaftens und spräche gleichsam von einem „Segen des Egoismus“. Alle Neoliberale stützen sich dabei in ihrer Deutung auf die berühmte „Metzger, Brauer, Bäcker“- Passage zu Beginn des Wealth of Nations. Smith schreibt dort, dass wir nicht vom Wohlwollen anderer jene Güter erwarten, die wir zum Leben brauchen, sondern indem wir an das Selbstinteresse der Verkäufer appellieren.
Nun spielt Wohlwollen im Prozess des Tausches von Waren tatsächlich eine untergeordnete Rolle, denn alle Teilnehmer erwarten sich vom Verkauf bzw. Kauf einer Ware einen Vorteil. Wohlwollen ist anderswo, nämlich im emotionalen Nahbereich von zentraler Bedeutung, etwa wenn wir Kindern ohne viel zu denken das geben, was sie benötigen. Wenn wir nun im Tausch von Waren an das „Selbstinteresse“ der Verkäufer appellieren, so versteht Smith darunter nicht einfach die Selbstsucht oder den Egoismus des homo oeconomicus, sondern etwas viel Komplexeres. Insbesondere in seiner Ethik betont Smith, dass es im wahren Interesse aller, also gerade auch im Eigeninteresse der Unternehmer ist, ein gutes, glückliches Leben zu führen. Ein solches ist jedoch nur möglich, wenn sie auch moralisch sind. Aber Moralität schließt nicht nur die Sorge um sich selbst ein, sondern auch die Sorge um andere. Da Selbstsucht und Egoismus somit nicht im wahren Interesse der Unternehmer ist, sollten sie sich, so Smith, auch aus Eigeninteresse wie faire Sportler verhalten.
Es war diese Gesinnung und keine ungezügelte Bereicherungssucht, die an der geistigen Wiege der Marktwirtschaft stand. Diese Haltung fand in einem kultivierten Eigeninteresse die Triebkraft zur Verbesserung der Gesellschaft. Es stimmt somit nicht, wie Neoliberale oft zu behaupten pflegen, dass nur die Konsequenzen wirtschaftlichen Handelns entscheidend seien und dass für Smith der moralische Wert der Gesinnung dabei keine Rolle gespielt hätte.
Woran liegt es, dass Smith so oft missverstanden wurde?
Der Grund dürfte in der Tatsache zu finden sein, dass nach den Napoleonischen Kriegen die Forderungen nach mehr Markt und Freihandel zu enormem Reichtum und materieller Besserstellung vieler geführt hatte. Dass Smith aber den Wohlstand (wealth) der Menschen, nicht bloß den Reichtum (richness) der Industrien im Auge gehabt hatte, wurde ignoriert. Jene späteren Kapitel im Wealth of Nations, in denen sich der Autor Gedanken dazu machte, wurden überblättert; und Smiths ethische Schrift, die Theory of Moral Sentiments wurde schlichtweg vergessen. Ein ethisches Reflektieren über den gewonnenen Reichtum lag in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts offenbar nicht im Trend der Zeit. Dies ist umso bedauerlicher, als Smith nur zwei Bücher veröffentlichte und seine ethische Schrift zudem für wichtiger gehalten hatte als den Wealth of Nations. In seinen letzten Lebensjahren überarbeitete er auch nicht seine Politische Ökonomie, sondern die Theory of Moral Sentiments – und schrieb so viele Ergänzungen, dass das Buch nun in zwei Bänden publiziert werden musste.
Welche Voraussetzungen müssen laut Smith für ein gerechtes Wirtschaftssystem erfüllt sein?
Ein gerechtes Wirtschaftssystem existiert für Smith erst dann, wenn der Staat wichtige Aufgaben übernimmt. Dieser muss sich, gleichsam als – im besten Fall — institutionalisiertes Wohlwollen, darum kümmern, dass es Arbeiterorganisationen, hohe Löhne, Arbeiterschutz und Bildung für alle gibt, und dass die Kreditzinsen nicht über fünf Prozent steigen, um Spekulationen zu verhindern — ein investment banking, wie wir es kennen, würde Smith also auf keinen Fall gutheißen. Der Staat muss zudem dafür sorgen, dass der Markt funktioniert und sich Unternehmer wie faire Sportler verhalten.
Wie würde Smith die gegenwärtige Situation beurteilen?
Er wäre wohl beeindruckt von der gelungenen Globalisierung der Wirtschaft, vom Ausmaß an Bildung und – trotz allem – von der Qualität der Infrastruktur und des Gesundheitswesens. Aber ein Versagen des Staates sähe er in den Marktverzerrungen, die durch ungerechte oder mangelnde Besteuerung entstanden sind. Dass manche übernational tätigen Großkonzerne keine Steuern in jenen Ländern zahlen, in denen sie ihren Profit erzielen, während die heimischen Betriebe in den Einkaufsstraßen ihre Steuerlast tragen, ist eine unakzeptable Marktverzerrung. Ein anderes Beispiel wäre: Die 30 Großbanken sind angeblich too big to fail. Bei Licht besehen heißt das, dass sie zu mächtig sind, um noch den Marktmechanismen unterworfen zu sein. In diesen beiden Fällen sähe Smith ein folgenreiches Versagen des Staates und eine unnötige Schaffung neuer, demokratisch nicht legitimierter riesiger Machtzentren.
Was für ein Mensch war Smith im persönlichen Umgang? Welche Charakterzüge zeichneten ihn aus?
Smith gilt allgemein als ziemlich spröde, gar sauertöpfisch und sehr professoral. Wahr ist jedoch, dass er überaus empathisch, wohlwollend und extrem freigebig war. So verschenkte er den Großteil seines Vermögens an arme Menschen. Für Smith war Wohltätigkeit eine Sache des Herzens und der Hände. Aber neben diesen stark ausgebildeten altruistischen Charaktereigenschaften hatte er zeitlebens ein ziemlich hitziges Gemüt, weshalb der von ihm propagierte Stoizismus für ihn auch ein existentielles Anliegen war. So sollen Sitzungen an der Universität Glasgow gelegentlich in Handgreiflichkeiten geendet haben. Und als der von Todesängsten geplagte Dr. Johnson, der damalige Doyen der englischen Literatur, ihn wegen Humes gelassener Einstellung gegenüber dem Tod als Lügner bezeichnete, soll ihn Smith als „Hurensohn“ beschimpft und erbost den Raum verlassen haben.
Adam Smith war eng befreundet mit dem Philosophen David Hume. Was verband die beiden Denker?
Die Freundschaft zwischen David Hume und Adam Smith ist eine der wenigen Freundschaften zweier genial begabter Menschen, die die Geschichte kennt. Die beiden Fixsterne am Himmel der Aufklärung, des Humanismus und Liberalismus hatten vieles gemeinsam: Beide entstammten alten schottischen Familien; beide Väter waren Rechtsanwälte; beide wuchsen praktisch vaterlos auf und beide hatten tiefreligiöse Mütter.
Aber Smith wurde in einer kleinen, sehr lebendigen Handels- und Hafenstadt groß, während Hume im Sommer auf einem verschlafenen Gut im Süden Schottlands und in den Wintermonaten im kulturell reichen und kosmopolitisch gesinnten Edinburgh lebte. Während Hume in der Hauptstadt Jura studierte, ging Smith im damals noch eher provinziellen Glasgow zur Universität, fand dort jedoch in der Person des Philosophen Francis Hutcheson einen besonders anregenden Lehrer. Hume hingegen fand nie einen wirklich guten Pädagogen und war zudem religionskritischer gesinnt als Smith, weshalb seine beiden Bewerbungen um einen Lehrstuhl für Philosophie kläglich scheiterten. Smith jedoch wurde mit 28 Jahren Professor für Logik an der Universität Glasgow, ein Jahr später erhielt er den Lehrstuhl für Moralphilosophie.
Wie wurde Smith von Hume intellektuell beeinflusst?
Neben Humes Treatise of Human Nature, jenem dreibändigen Werk, das heute neben John Lockes Essay concerning Human Understanding als das wichtigste Zeugnis der englischsprachigen Philosophie gilt, waren es zwei weitere Schriften des um 12 Jahre Älteren, die auf Smith einen nachhaltigen Eindruck machten: Die 1751 veröffentliche Enquiry concerning the Principles of Morals sowie die im darauffolgenden Jahr publizierten Political Discourses.
In der „Untersuchung über die Prinzipien der Moral“ entwickelte Hume – im Anschluss an Hutcheson – eine Gefühlsethik. Seiner Ansicht nach sind es letztlich Empfindungen, mit deren Hilfe wir das moralisch Gute und ästhetisch Schöne erfassen. Der Verstand vermag zwar in Verbindung mit Erfahrung und Experiment grundsätzlich Wahres und Falsches zu erkennen, nicht jedoch Richtiges und Unrichtiges, Schönes und Hässliches. Dafür sind spezielle Gefühle zuständig. Aber um diese aus der Fülle an Emotionen freizulegen, bedarf es des Verstandes. Denn erst durch logisch-diskursives Denken, mit dessen Hilfe nach Erklärungen gesucht und mögliche Konsequenzen erschlossen werden, sowie mit Hilfe der Einbildungskraft, die uns in die Lage anderer versetzt und so verstehen lässt, gelangen jene spezifischen Gefühle an die Oberfläche des Bewusstseins. Um das Gute und Schöne erkennen zu können, sind Verstandesleistungen somit nötig, aber nicht hinreichend, da unser Wertebewusstsein kein rein rationales Wissen ist.
Diese Überlegungen baut Smith in seiner 1759 veröffentlichten Theory of Moral Sentiments weiter aus, wobei viele seiner Reflexionen um einiges subtiler sind als diejenigen Humes. Wesentlich deutlicher ist seine Betonung der Notwendigkeit einer Perspektive der Unparteilichkeit im Prozess des Erkennens moralischer Werte. Dieses Beharren auf ein zusätzliches kognitives Bemühen dürfte auf Immanuel Kant einen enormen Einfluss ausgeübt haben, der Smith seinen „Liebling“ genannt haben soll.
Eine dritte wichtige Quelle, aus der Smith zahlreiche Humesche Anregungen schöpfte, waren die „Politischen Diskurse“. Hume entwickelt darin die Grundgedanken der klassischen Ökonomie, wobei etwa sein Plädoyer für freien Handel Smiths diesbezügliche Erörterungen an Eloquenz übertrifft. Humes Formulierungen sind wahrscheinlich das Prägnanteste, das jemals zu diesem Thema geschrieben wurde. Die vielen Gedankenfäden, die Smith aus dieser und vielen anderen Quellen bezog, verdichtete er dann zum Wealth of Nations, dem großen Lehrbuch der Wirtschaftswissenshaft. In diesem Meisterwerk nennt Smith Freund Hume „den bei weitem berühmtesten Philosophen und Historiker unserer Zeit“.
1777, einige Monate nach Humes Tod, veröffentlichte Smith seine Totenrede auf Hume und meinte im Schlusssatz, dass er ihn immer als denjenigen erachtet habe, der „dem Ideal eines vollkommen weisen und moralischen Menschen so nahekam, wie es das Wesen menschlicher Schwäche vielleicht überhaupt erlaubt“. Für diese Heiligsprechung des großen Ungläubigen, des Vaters der modernen, empiristisch-skeptisch orientierten Philosophie, erntete Smith wüste Beschimpfungen und den Vorwurf moralischer Defizite.
Inwiefern kann Smith in die Traditionsgeschichte der Aufklärung gestellt werden?
Smiths Überlegungen zur Bedeutung des Marktes für die Gesellschaft war mitverantwortlich für die Befreiung oder Emanzipation des Individuums. Noch im 17. Jahrhundert konnte man sich eine soziale Ordnung nur als eine von oben eingesetzte und immer wieder zu korrigierende Ordnung vorstellen. Die Obrigkeit war somit Wirtschafter und Verwalter des Seelenheils der Untertanen. Dieser Auffassung setzte Smith die Idee einer stabilen und liberalen Ordnung entgegen, in der alle Mitglieder einer Gesellschaft ihren Lebensplan weitgehend verwirklichen können und, etwa durch ökonomische Aktivität, andere dadurch zumeist sogar noch fördern. Die Annahme einer natürlichen, nicht-autoritären Ordnung begründete Smith zum einen mit dem Hinweis auf die nach Moralität strebende menschliche Natur und zum anderen mit den häufig wohltätigen Mechanismen des Marktes. Bedingung ist allerdings, dass Markt und Individuen eingebettet sind in ein aufgeklärtes Staatsgefüge, das die Grundregeln vorgibt und deren Nichtbefolgung ahndet sowie wichtige Aufgaben übernimmt – insbesondere, wie schon erwähnt, auf dem Gebiet der Infrastruktur und Bildung.
Welches Verhältnis hatte Smith zur Religion?
Smith sprach sich für die strikte Trennung von Staat und Kirche aus, und zwar in dem Sinn, dass der Staat für keine religiöse Glaubensgemeinschaft Partei ergreift. Folge davon wäre, so hofft Smith, dass sich die Religionsgemeinschaften bald aufspalteten und damit an Macht und Einfluss verlören. Kleinere Kirchen sind, so Smith weiter, zwar machtloser, aber ihre Moral ist „oftmals unsozial oder zu streng“. Dagegen sollte der moderne Staat konkrete Maßnahmen ergreifen, und zwar durch die Förderung des Unterrichts der Naturwissenschaft und der Philosophie, den wichtigsten Heilmitteln „gegen das Gift der Schwärmerei und des Aberglaubens“. Zudem sollte der Staat öffentliche Zerstreuungen und fröhliche Feste fördern, „die immer schon Gegenstand der Furcht und des Hasses aller Aufwiegler waren“. Aufklärung und Unterhaltung sind also nach Smith die besten Arzneien gegen religiöse Engstirnigkeit und sektiererischen Fanatismus.
Lässt sich daraus schließen, dass sich Smith als Atheist verstanden hat?
Die negativen Urteile gegenüber konfessionell gebundenen Religionsgemeinschaften bedeuten nicht, dass Smith irreligiös gewesen wäre. Er war vielmehr Deist, also Anhänger jener oft „aufgeklärt“ genannten Form von Religiosität, die zwischen der neu entstandenen Wissenschaft und der alten Religion vermitteln wollte, und der alle schottischen Aufklärer außer Hume nahestanden. Isaac Newton hatte gezeigt, dass mit der Annahme einer Anziehung der Massen sowohl das Fallen eines Apfels als auch die Bewegungen der Planeten erklärt werden könne. Es herrsche also im Universum Ordnung, wodurch Leben ermöglicht wurde. Aufgrund dieser Erkenntnis schlossen die Deisten, eben auch Smith, auf die Existenz eines gütigen Schöpfers, der der Natur seine weisen Pläne vorschrieb.
Welche Bedeutung hat Smith für den Kritischen Rationalismus, wie er von den Philosophen Karl Popper und Hans Albert vertreten wurde?
Smiths System der „natürlichen Ordnung vollkommener Freiheit und Gerechtigkeit“ kommt Karl Poppers Vorstellungen einer offenen Gesellschaft sehr nahe. Durch den Markt, durch Handel und Gewerbe öffneten sich – im Vergleich zu feudalen Zeiten – große Freiräume. Abgesehen von der größeren Möglichkeit zu kreativem, innovativem Handeln durch die Arbeitsteilung entstanden auch neue, freiere soziale Beziehungen. Denn Unternehmer hängen nicht wie in feudalen Zeiten von einem oder einigen wenigen Adeligen ab, sondern von vielen Kunden. Diese wiederum haben zumindest in einer größeren Stadt mehr Möglichkeiten, aus verschiedenen Unternehmen zu wählen.
Der Markt führte zudem zu mehr Ordnung und Sicherheit, weil die Macht sich auffächerte und es schließlich zur Gewaltenteilung zwischen Staat, Wirtschaft und unabhängiger Justiz kam. Erst diese Gewaltenteilung garantiert die Freiheit einzelner und die Gleichheit aller vor dem Gesetz. Im dritten Buch des Wealth of Nations zeichnet Smith die Entwicklung Europas aus einem Zustand feudaler Despotie zu demokratischeren Machtverhältnissen nach, wobei die Unsichtbare Hand des Marktes die entscheidende Rolle spielte. Denn niemand dachte daran, eine Demokratie zu schaffen: Die Adeligen pflegten vor allem ihre Eitelkeit, und die wenigen Händler interessierte vor allem ihr Einkommen. Und doch waren nach Jahrhunderten mehr Freiheit und mehr Sicherheit die nicht-intendierten Folgen ihres Handelns.
Alle diese Analysen passen vorzüglich zu Karl Poppers Konzeption einer offenen Gesellschaft. Der von Smith verteidigte Deismus fügt sich allerdings nicht in kritisch-rationales Denken. Schon Hume hatte grundlegende Bedenken geäußert. Seiner Meinung nach lässt die Weltordnung, in der es auch Tod, Krankheit, Leid, Erdbeben, Einschläge von Kometen, Ungerechtigkeit und Krieg gibt, auf keinen gütigen Gott schließen. In seinen Dialogues concerning Natural Religion arbeitet er seine Kritik am Deismus detailliert aus. Ob der Brisanz des Inhalts veröffentlichte Hume diese Arbeit zu Lebzeiten nicht, wollte aber unbedingt die posthume Ausgabe sicherstellen und ersuchte Freund Smith wiederholt, ihm diesen letzten Wunsch zu erfüllen. Aber dieser lehnte ab, auch noch an Humes Sterbebett.
Es ist das Theodizeeproblem, das die Prinzipien des Deismus fundamental infrage stellt. Hume hatte die entscheidenden kritischen Argumente bereits vorgebracht – und Hans Albert würde, davon bin ich überzeugt, nicht dem Smithschen Deismus, sondern der Humeschen Kritik daran vollinhaltlich zustimmen, ergänzt durch den Hinweis auf Darwins Evolutionstheorie, der zufolge die Ordnung in der Natur ganz anders, nämlich durch Anpassung erklärt werden könne.
Smiths Forschergeist war im ruhigen, wenn auch etwas seichten Wasser des Deismus vor Anker gegangen, wo keine kalten Strömungen aus der Tiefe die Oberfläche erreichen konnten. Er hielt an einer Letztbegründung in Form einer zweckbestimmten, von einem wohlwollenden Gott geschaffenen Ordnung fest. In diesem Punkt entschied sich der große Aufklärer gegen die Einsichten der Vernunft. Smith überwand seine Ängste vor einem „vaterlosen Kosmos“, indem er – trotz aller Guckkästen des Unerträglichen und der Fülle resignierten Elends – es sich in einer metaphysischen Hängematte bequem machte.
Worüber würden Sie sich gerne mit Smith unterhalten, wenn er heute noch leben würde?
Ich hätte Scheu, ihn direkt dazu zu befragen, versuchte aber, Smith in ein Gespräch zu verwickeln, um mehr zu erfahren über seine Großzügigkeit und seine ausgeprägte empathische Fähigkeit, an der emotionalen Situation anderer teilzuhaben. Der Begründer der Wirtschaftswissenschaft hatte, wie schon erwähnt, einen Großteil seines Vermögens an Arme verschenkt, weshalb bei seinem Begräbnis im Juli 1790 Menschen zu sehen waren, die üblicherweise einem Universitätsprofessor nicht die letzte Ehre erweisen.
Sodann interessierte mich seine Meinung zur größten Krise unserer Tage, vielleicht der Menschheit überhaupt – also zum Klimawandel. Smith wäre gewiss offen für diese Frage und keineswegs überrascht, dass die Unsichtbare Hand des Marktes gelegentlich an Arthritis leidet und schrecklich danebengreift. Denn zum einen hatte er im Zusammenhang mit der Arbeitsteilung selbst beobachtet, dass die exzessive Teilung der Arbeit zur geistigen Verkümmerung der Arbeitenden führt – und aufgrund dieser Tatsache gefordert, dass der Staat durch Bildung eingreifen müsse, um diese negativen und demokratiebedrohenden Konsequenzen abzumildern. Heute sind es ökologische Krisen, die sich – von Menschen unbeabsichtigt – aus dem Marktgeschehen ergeben haben. Zum anderen vertrat Smith als Deist einen sehr positiven Naturbegriff, sollen sich doch in der Natur die Gedanken Gottes spiegeln. Seiner Meinung nach wäre es daher dringend geboten, Gottes Schöpfung zu bewahren.
Welche konkreten Antworten würde Smith hierzu vorschlagen?
Wahrscheinlich verwiese er zunächst auf den innovativen menschlichen Geist, der im Zusammenhang mit den Mechanismen des Marktes manches ökologische Problem lösen werde. Aber sollte dies nicht genügen, müsste – so der Moralphilosoph Smith – die Industrie schrumpfen. Den naheliegenden Einwand und die existentielle Befürchtung, dass dann Hunger und Verelendung drohten, begegnete er wahrscheinlich mit dem Argument, dass in den 70er Jahren die Industrie nur halb so groß war wie heute und würde rhetorisch fragen, ob es uns damals so viel schlechter ergangen sei.
Auf die Frage, warum ökologische Probleme im Wealth of Nations keine Rolle spielen, würde Smith vermutlich erwidern, dass es damals vor dem Hintergrund großer Not um das Problem gegangen sei, wie mehr Waren und diese billiger produziert werden könnten. Aber heute ginge es um etwas ganz anderes, nämlich um die Überlebensfrage, wie wir mit weniger besser leben, und es bestünde die Notwendigkeit, ehestmöglich nur noch das zu produzieren, was wiederverwertet werden könne.
Auf die wiederholte kritische Frage, ob dies nicht gänzlich utopisch sei, da ein solcher Umbau der Gesellschaft einen allgemeinen großen finanziellen Verlust bedeute, würde der Moralphilosoph vermutlich antworten, dass die Grundbedürfnisse aller – bei richtiger Verteilung – ohnedies gedeckt seien und dass es im Grunde auch heute nicht um Reichtum, sondern um das Wohlergehen der Menschen gehe, um den Wohlstand der Nationen. Um das zu verstehen und wirklich ernst zu nehmen, seien die Einsichten der stoischen Philosophie besonders wichtig – wie auch das Bewusstwerden der Tatsache, dass viele der besten Dinge im Leben ohnehin umsonst seien.