300 JAHRE ADAM SMITH

»Ein Fixstern der Aufklärung«

Inter­view mit Prof. Dr. Ger­hard Streminger

Im Juni jährt sich der 300. Geburts­tag von Adam Smith. Ger­hard Stre­min­ger, Phi­lo­soph und Bei­rats­mit­glied des Hans-Albert-Insti­tuts, hat eine Bio­gra­fie über den schot­ti­schen Auf­klä­rer geschrie­ben, die kürz­lich als E‑Book bei Rowohlt ver­öf­fent­licht wur­de. Im Inter­view erklärt er, was das Den­ken von Smith aus­zeich­net und wel­che Miss­ver­ständ­nis­se bei der Inter­pre­ta­ti­on sei­nes Werks kursieren.

Adam Smith gilt als Begründer der modernen Nationalökonomie. Warum lohnt es, sich heute noch mit ihm zu befassen?

Ger­hard Stre­min­ger: Den Haupt­grund für eine loh­nen­de Beschäf­ti­gung mit Smith sehe ich dar­in, dass er – im Gegen­satz zu vie­len Theo­re­ti­kern der Poli­ti­schen Öko­no­mie – in sei­nem berühm­ten Werk Wealth of Nati­ons sowohl die Bedeu­tung des Mark­tes als auch die­je­ni­ge des Staa­tes beleuch­tet. In sei­nem Sys­tem der „natür­li­chen Ord­nung voll­kom­me­ner Frei­heit und (!) Gerech­tig­keit“ ver­schrän­ken sich die Unsicht­ba­re Hand des Mark­tes und die Sicht­ba­re Hand des Staa­tes.

In der Plan­wirt­schaft – und den feu­da­len Sys­te­men, die Smith vor­fand – wird von oben regiert, ein Ent­wurf für die Wirt­schaft erstellt und den Staats­bür­gern dik­tiert. Ein Markt, wie wir ihn ken­nen, der im Wesent­li­chen auf Eigen­in­itia­ti­ve beruht, ist ver­pönt, wodurch indi­vi­du­el­le Frei­hei­ten extrem ein­ge­schränkt sind – also die Wün­sche nach Selbst­be­stim­mung, nach geis­ti­ger und kul­tu­rel­ler Ver­än­de­rung und nach einer Ver­bes­se­rung der wirt­schaft­li­chen Situa­ti­on. Der Name Smith ist eng ver­bun­den mit einer Kri­tik an sol­chen Plan­wirt­schaf­ten einer­seits und einem Plä­doy­er für die Bedeu­tung des Mark­tes ande­rer­seits. Durch das freie Spiel der Markt­kräf­te kön­nen sich, so Smith, Ange­bot und Nach­fra­ge in best­mög­li­cher Wei­se anpas­sen und rasch zum natür­li­chen Preis ten­die­ren, der die Sum­me der Pro­duk­ti­ons­kos­ten widerspiegelt.

Im Neo­li­be­ra­lis­mus und den dort zu fin­den­den Brand­re­den für eine freie Markt­wirt­schaft gilt der Staat als Pro­blem und der Markt als Lösung. Des­halb wer­den staat­li­che Auf­ga­ben auf Weni­ges, auf Exe­ku­ti­ve, Legis­la­ti­ve und Lan­des­ver­tei­di­gung beschränkt. Aber nach Smith hat der Staat dar­über hin­aus wei­te­re zen­tra­le Auf­ga­ben zu erfül­len, wovon eini­ge der wich­tigs­ten erwähnt sind: Errich­tung einer volks­wirt­schaft­lich not­wen­di­gen – aber betriebs­wirt­schaft­lich unpro­fi­ta­blen – Infra­struk­tur; Auf­bau eines all­ge­mei­nen Bil­dungs­sys­tems, um die nega­ti­ven Fol­gen der Arbeits­tei­lung zu mil­dern; die Siche­rung des Mark­tes durch Ver­hin­de­rung von Kar­tell­bil­dun­gen sowie eine gerech­te Besteue­rung aller Markt­teil­neh­mer, wobei Rei­che kräf­ti­ger zur Kas­se gebe­ten wer­den sol­len als andere.

Smith wird heute vor allem mit dem Neoliberalismus und der Forderung nach freien Märkten in Verbindung gebracht. Wieso?

Smith setz­te sich mit Nach­druck für den Frei­han­del ein, weil die­ser sei­ner Mei­nung nach drei gro­ße Vor­tei­le besitzt: Ers­tens kön­nen Män­gel, die in einem bestimm­ten Gebiet auf­tre­ten, ohne Han­dels­gren­zen best­mög­lich aus­ge­gli­chen wer­den. Zwei­tens kom­men durch frei­en Han­del in jedem Land die natür­li­chen Vor­tei­le zum Tra­gen, die es gegen­über ande­ren besitzt: Dar­an wird das Land ver­die­nen, und die Waren wer­den ins­ge­samt mög­lichst bil­lig und für vie­le erschwing­lich sein. Smit­hs Para­de­bei­spiel ist hier der Wein­bau in Frank­reich sowie die Schaf­zucht in Schott­land: Natür­lich könn­ten auch in sei­ner schot­ti­schen Hei­mat mit erwärm­tem Mau­er­werk und beson­ders kul­ti­vier­ten Böden gute Wei­ne gekel­tert wer­den. Aber eine Fla­sche Wein dürf­te dann zehn Mal so viel kos­ten wie eine aus Frank­reich. Drit­tens wer­den durch den frei­en Han­del die Län­der auf wirt­schaft­li­chem Gebiet von­ein­an­der abhän­gig. Auf lan­ge Sicht wird die­ser „Wan­del durch Han­del“, so hofft Smith, zum ewi­gen Frie­den führen.

Der Autor des Wealth of Nati­ons sprach sich also für den frei­en Han­del aus, plä­dier­te aller­dings für eine behut­sa­me Ein­füh­rung des­sel­ben, damit sich die hei­mi­sche Wirt­schaft an die neu­en Umstän­de anpas­sen kön­ne und Mas­sen­ar­beits­lo­sig­keit ver­mie­den werde.

Es ist also richtig, dass Smith als Vordenker des Neoliberalismus gedeutet wird?

Bezüg­lich des Frei­han­dels ist die neo­li­be­ra­le Deu­tung mei­nes Erach­tens grund­sätz­lich rich­tig. Aber sie geht fehl, wenn behaup­tet wird, Smith plä­dier­te für Selbst­sucht als Trieb­fe­der des Wirt­schaf­tens und sprä­che gleich­sam von einem „Segen des Ego­is­mus“. Alle Neo­li­be­ra­le stüt­zen sich dabei in ihrer Deu­tung auf die berühm­te „Metz­ger, Brau­er, Bäcker“- Pas­sa­ge zu Beginn des Wealth of Nati­ons. Smith schreibt dort, dass wir nicht vom Wohl­wol­len ande­rer jene Güter erwar­ten, die wir zum Leben brau­chen, son­dern indem wir an das Selbst­in­ter­es­se der Ver­käu­fer appellieren.

Nun spielt Wohl­wol­len im Pro­zess des Tau­sches von Waren tat­säch­lich eine unter­ge­ord­ne­te Rol­le, denn alle Teil­neh­mer erwar­ten sich vom Ver­kauf bzw. Kauf einer Ware einen Vor­teil. Wohl­wol­len ist anders­wo, näm­lich im emo­tio­na­len Nah­be­reich von zen­tra­ler Bedeu­tung, etwa wenn wir Kin­dern ohne viel zu den­ken das geben, was sie benö­ti­gen. Wenn wir nun im Tausch von Waren an das „Selbst­in­ter­es­se“ der Ver­käu­fer appel­lie­ren, so ver­steht Smith dar­un­ter nicht ein­fach die Selbst­sucht oder den Ego­is­mus des homo oeco­no­mic­us, son­dern etwas viel Kom­ple­xe­res. Ins­be­son­de­re in sei­ner Ethik betont Smith, dass es im wah­ren Inter­es­se aller, also gera­de auch im Eigen­in­ter­es­se der Unter­neh­mer ist, ein gutes, glück­li­ches Leben zu füh­ren. Ein sol­ches ist jedoch nur mög­lich, wenn sie auch mora­lisch sind. Aber Mora­li­tät schließt nicht nur die Sor­ge um sich selbst ein, son­dern auch die Sor­ge um ande­re. Da Selbst­sucht und Ego­is­mus somit nicht im wah­ren Inter­es­se der Unter­neh­mer ist, soll­ten sie sich, so Smith, auch aus Eigen­in­ter­es­se wie fai­re Sport­ler verhalten.

Es war die­se Gesin­nung und kei­ne unge­zü­gel­te Berei­che­rungs­sucht, die an der geis­ti­gen Wie­ge der Markt­wirt­schaft stand. Die­se Hal­tung fand in einem kul­ti­vier­ten Eigen­in­ter­es­se die Trieb­kraft zur Ver­bes­se­rung der Gesell­schaft. Es stimmt somit nicht, wie Neo­li­be­ra­le oft zu behaup­ten pfle­gen, dass nur die Kon­se­quen­zen wirt­schaft­li­chen Han­delns ent­schei­dend sei­en und dass für Smith der mora­li­sche Wert der Gesin­nung dabei kei­ne Rol­le gespielt hätte.

Woran liegt es, dass Smith so oft missverstanden wurde? 

Der Grund dürf­te in der Tat­sa­che zu fin­den sein, dass nach den Napo­leo­ni­schen Krie­gen die For­de­run­gen nach mehr Markt und Frei­han­del zu enor­mem Reich­tum und mate­ri­el­ler Bes­ser­stel­lung vie­ler geführt hat­te. Dass Smith aber den Wohl­stand (wealth) der Men­schen, nicht bloß den Reich­tum (rich­ness) der Indus­trien im Auge gehabt hat­te, wur­de igno­riert. Jene spä­te­ren Kapi­tel im Wealth of Nati­ons, in denen sich der Autor Gedan­ken dazu mach­te, wur­den über­blät­tert; und Smit­hs ethi­sche Schrift, die Theo­ry of Moral Sen­ti­ments wur­de schlicht­weg ver­ges­sen. Ein ethi­sches Reflek­tie­ren über den gewon­ne­nen Reich­tum lag in den ers­ten Jahr­zehn­ten des 19. Jahr­hun­derts offen­bar nicht im Trend der Zeit. Dies ist umso bedau­er­li­cher, als Smith nur zwei Bücher ver­öf­fent­lich­te und sei­ne ethi­sche Schrift zudem für wich­ti­ger gehal­ten hat­te als den Wealth of Nati­ons. In sei­nen letz­ten Lebens­jah­ren über­ar­bei­te­te er auch nicht sei­ne Poli­ti­sche Öko­no­mie, son­dern die Theo­ry of Moral Sen­ti­ments – und schrieb so vie­le Ergän­zun­gen, dass das Buch nun in zwei Bän­den publi­ziert wer­den musste.

Welche Voraussetzungen müssen laut Smith für ein gerechtes Wirtschaftssystem erfüllt sein? 

Ein gerech­tes Wirt­schafts­sys­tem exis­tiert für Smith erst dann, wenn der Staat wich­ti­ge Auf­ga­ben über­nimmt. Die­ser muss sich, gleich­sam als – im bes­ten Fall – insti­tu­tio­na­li­sier­tes Wohl­wol­len, dar­um küm­mern, dass es Arbei­ter­or­ga­ni­sa­tio­nen, hohe Löh­ne, Arbei­ter­schutz und Bil­dung für alle gibt, und dass die Kre­dit­zin­sen nicht über fünf Pro­zent stei­gen, um Spe­ku­la­tio­nen zu ver­hin­dern – ein invest­ment ban­king, wie wir es ken­nen, wür­de Smith also auf kei­nen Fall gut­hei­ßen. Der Staat muss zudem dafür sor­gen, dass der Markt funk­tio­niert und sich Unter­neh­mer wie fai­re Sport­ler verhalten.

Wie würde Smith die gegenwärtige Situation beurteilen?

Er wäre wohl beein­druckt von der gelun­ge­nen Glo­ba­li­sie­rung der Wirt­schaft, vom Aus­maß an Bil­dung und – trotz allem – von der Qua­li­tät der Infra­struk­tur und des Gesund­heits­we­sens. Aber ein Ver­sa­gen des Staa­tes sähe er in den Markt­ver­zer­run­gen, die durch unge­rech­te oder man­geln­de Besteue­rung ent­stan­den sind. Dass man­che über­na­tio­nal täti­gen Groß­kon­zer­ne kei­ne Steu­ern in jenen Län­dern zah­len, in denen sie ihren Pro­fit erzie­len, wäh­rend die hei­mi­schen Betrie­be in den Ein­kaufs­stra­ßen ihre Steu­er­last tra­gen, ist eine unak­zep­ta­ble Markt­ver­zer­rung. Ein ande­res Bei­spiel wäre: Die 30 Groß­ban­ken sind angeb­lich too big to fail. Bei Licht bese­hen heißt das, dass sie zu mäch­tig sind, um noch den Markt­me­cha­nis­men unter­wor­fen zu sein. In die­sen bei­den Fäl­len sähe Smith ein fol­gen­rei­ches Ver­sa­gen des Staa­tes und eine unnö­ti­ge Schaf­fung neu­er, demo­kra­tisch nicht legi­ti­mier­ter rie­si­ger Machtzentren.

Was für ein Mensch war Smith im persönlichen Umgang? Welche Charakterzüge zeichneten ihn aus? 

Smith gilt all­ge­mein als ziem­lich sprö­de, gar sauer­töp­fisch und sehr pro­fes­so­ral. Wahr ist jedoch, dass er über­aus empa­thisch, wohl­wol­lend und extrem frei­ge­big war. So ver­schenk­te er den Groß­teil sei­nes Ver­mö­gens an arme Men­schen. Für Smith war Wohl­tä­tig­keit eine Sache des Her­zens und der Hän­de. Aber neben die­sen stark aus­ge­bil­de­ten altru­is­ti­schen Cha­rak­ter­ei­gen­schaf­ten hat­te er zeit­le­bens ein ziem­lich hit­zi­ges Gemüt, wes­halb der von ihm pro­pa­gier­te Stoi­zis­mus für ihn auch ein exis­ten­ti­el­les Anlie­gen war. So sol­len Sit­zun­gen an der Uni­ver­si­tät Glas­gow gele­gent­lich in Hand­greif­lich­kei­ten geen­det haben. Und als der von Todes­ängs­ten geplag­te Dr. John­son, der dama­li­ge Doy­en der eng­li­schen Lite­ra­tur, ihn wegen Humes gelas­se­ner Ein­stel­lung gegen­über dem Tod als Lüg­ner bezeich­ne­te, soll ihn Smith als „Huren­sohn“ beschimpft und erbost den Raum ver­las­sen haben.

Adam Smith war eng befreundet mit dem Philosophen David Hume. Was verband die beiden Denker? 

Die Freund­schaft zwi­schen David Hume und Adam Smith ist eine der weni­gen Freund­schaf­ten zwei­er geni­al begab­ter Men­schen, die die Geschich­te kennt. Die bei­den Fix­ster­ne am Him­mel der Auf­klä­rung, des Huma­nis­mus und Libe­ra­lis­mus hat­ten vie­les gemein­sam: Bei­de ent­stamm­ten alten schot­ti­schen Fami­li­en; bei­de Väter waren Rechts­an­wäl­te; bei­de wuch­sen prak­tisch vater­los auf und bei­de hat­ten tiefre­li­giö­se Mütter.

Aber Smith wur­de in einer klei­nen, sehr leben­di­gen Han­dels- und Hafen­stadt groß, wäh­rend Hume im Som­mer auf einem ver­schla­fe­nen Gut im Süden Schott­lands und in den Win­ter­mo­na­ten im kul­tu­rell rei­chen und kos­mo­po­li­tisch gesinn­ten Edin­burgh leb­te. Wäh­rend Hume in der Haupt­stadt Jura stu­dier­te, ging Smith im damals noch eher pro­vin­zi­el­len Glas­gow zur Uni­ver­si­tät, fand dort jedoch in der Per­son des Phi­lo­so­phen Fran­cis Hut­che­son einen beson­ders anre­gen­den Leh­rer. Hume hin­ge­gen fand nie einen wirk­lich guten Päd­ago­gen und war zudem reli­gi­ons­kri­ti­scher gesinnt als Smith, wes­halb sei­ne bei­den Bewer­bun­gen um einen Lehr­stuhl für Phi­lo­so­phie kläg­lich schei­ter­ten. Smith jedoch wur­de mit 28 Jah­ren Pro­fes­sor für Logik an der Uni­ver­si­tät Glas­gow, ein Jahr spä­ter erhielt er den Lehr­stuhl für Moralphilosophie.

Wie wurde Smith von Hume intellektuell beeinflusst?

Neben Humes Trea­tise of Human Natu­re, jenem drei­bän­di­gen Werk, das heu­te neben John Lockes Essay con­cer­ning Human Under­stan­ding als das wich­tigs­te Zeug­nis der eng­lisch­spra­chi­gen Phi­lo­so­phie gilt, waren es zwei wei­te­re Schrif­ten des um 12 Jah­re Älte­ren, die auf Smith einen nach­hal­ti­gen Ein­druck mach­ten: Die 1751 ver­öf­fent­li­che Enqui­ry con­cer­ning the Princi­ples of Morals sowie die im dar­auf­fol­gen­den Jahr publi­zier­ten Poli­ti­cal Dis­cour­ses.

In derUnter­su­chung über die Prin­zi­pi­en der Moral“ ent­wi­ckel­te Hume – im Anschluss an Hut­che­son – eine Gefühls­ethik. Sei­ner Ansicht nach sind es letzt­lich Emp­fin­dun­gen, mit deren Hil­fe wir das mora­lisch Gute und ästhe­tisch Schö­ne erfas­sen. Der Ver­stand ver­mag zwar in Ver­bin­dung mit Erfah­rung und Expe­ri­ment grund­sätz­lich Wah­res und Fal­sches zu erken­nen, nicht jedoch Rich­ti­ges und Unrich­ti­ges, Schö­nes und Häss­li­ches. Dafür sind spe­zi­el­le Gefüh­le zustän­dig. Aber um die­se aus der Fül­le an Emo­tio­nen frei­zu­le­gen, bedarf es des Ver­stan­des. Denn erst durch logisch-dis­kur­si­ves Den­ken, mit des­sen Hil­fe nach Erklä­run­gen gesucht und mög­li­che Kon­se­quen­zen erschlos­sen wer­den, sowie mit Hil­fe der Ein­bil­dungs­kraft, die uns in die Lage ande­rer ver­setzt und so ver­ste­hen lässt, gelan­gen jene spe­zi­fi­schen Gefüh­le an die Ober­flä­che des Bewusst­seins. Um das Gute und Schö­ne erken­nen zu kön­nen, sind Ver­stan­des­leis­tun­gen somit nötig, aber nicht hin­rei­chend, da unser Wer­te­be­wusst­sein kein rein ratio­na­les Wis­sen ist.

Die­se Über­le­gun­gen baut Smith in sei­ner 1759 ver­öf­fent­lich­ten Theo­ry of Moral Sen­ti­ments wei­ter aus, wobei vie­le sei­ner Refle­xio­nen um eini­ges sub­ti­ler sind als die­je­ni­gen Humes. Wesent­lich deut­li­cher ist sei­ne Beto­nung der Not­wen­dig­keit einer Per­spek­ti­ve der Unpar­tei­lich­keit im Pro­zess des Erken­nens mora­li­scher Wer­te. Die­ses Behar­ren auf ein zusätz­li­ches kogni­ti­ves Bemü­hen dürf­te auf Imma­nu­el Kant einen enor­men Ein­fluss aus­ge­übt haben, der Smith sei­nen „Lieb­ling“ genannt haben soll.

Eine drit­te wich­ti­ge Quel­le, aus der Smith zahl­rei­che Hume­sche Anre­gun­gen schöpf­te, waren die „Poli­ti­schen Dis­kur­se“. Hume ent­wi­ckelt dar­in die Grund­ge­dan­ken der klas­si­schen Öko­no­mie, wobei etwa sein Plä­doy­er für frei­en Han­del Smit­hs dies­be­züg­li­che Erör­te­run­gen an Elo­quenz über­trifft. Humes For­mu­lie­run­gen sind wahr­schein­lich das Prä­gnan­tes­te, das jemals zu die­sem The­ma geschrie­ben wur­de. Die vie­len Gedan­ken­fä­den, die Smith aus die­ser und vie­len ande­ren Quel­len bezog, ver­dich­te­te er dann zum Wealth of Nati­ons, dem gro­ßen Lehr­buch der Wirt­schafts­wis­sens­haft. In die­sem Meis­ter­werk nennt Smith Freund Hume „den bei wei­tem berühm­tes­ten Phi­lo­so­phen und His­to­ri­ker unse­rer Zeit“.

1777, eini­ge Mona­te nach Humes Tod, ver­öf­fent­lich­te Smith sei­ne Toten­re­de auf Hume und mein­te im Schluss­satz, dass er ihn immer als den­je­ni­gen erach­tet habe, der „dem Ide­al eines voll­kom­men wei­sen und mora­li­schen Men­schen so nahe­kam, wie es das Wesen mensch­li­cher Schwä­che viel­leicht über­haupt erlaubt“. Für die­se Hei­lig­spre­chung des gro­ßen Ungläu­bi­gen, des Vaters der moder­nen, empi­ris­tisch-skep­tisch ori­en­tier­ten Phi­lo­so­phie, ern­te­te Smith wüs­te Beschimp­fun­gen und den Vor­wurf mora­li­scher Defizite. 

Inwiefern kann Smith in die Traditionsgeschichte der Aufklärung gestellt werden? 

Smit­hs Über­le­gun­gen zur Bedeu­tung des Mark­tes für die Gesell­schaft war mit­ver­ant­wort­lich für die Befrei­ung oder Eman­zi­pa­ti­on des Indi­vi­du­ums. Noch im 17. Jahr­hun­dert konn­te man sich eine sozia­le Ord­nung nur als eine von oben ein­ge­setz­te und immer wie­der zu kor­ri­gie­ren­de Ord­nung vor­stel­len. Die Obrig­keit war somit Wirt­schaf­ter und Ver­wal­ter des See­len­heils der Unter­ta­nen. Die­ser Auf­fas­sung setz­te Smith die Idee einer sta­bi­len und libe­ra­len Ord­nung ent­ge­gen, in der alle Mit­glie­der einer Gesell­schaft ihren Lebens­plan weit­ge­hend ver­wirk­li­chen kön­nen und, etwa durch öko­no­mi­sche Akti­vi­tät, ande­re dadurch zumeist sogar noch för­dern. Die Annah­me einer natür­li­chen, nicht-auto­ri­tä­ren Ord­nung begrün­de­te Smith zum einen mit dem Hin­weis auf die nach Mora­li­tät stre­ben­de mensch­li­che Natur und zum ande­ren mit den häu­fig wohl­tä­ti­gen Mecha­nis­men des Mark­tes. Bedin­gung ist aller­dings, dass Markt und Indi­vi­du­en ein­ge­bet­tet sind in ein auf­ge­klär­tes Staats­ge­fü­ge, das die Grund­re­geln vor­gibt und deren Nicht­be­fol­gung ahn­det sowie wich­ti­ge Auf­ga­ben über­nimmt – ins­be­son­de­re, wie schon erwähnt, auf dem Gebiet der Infra­struk­tur und Bildung.

Welches Verhältnis hatte Smith zur Religion?

Smith sprach sich für die strik­te Tren­nung von Staat und Kir­che aus, und zwar in dem Sinn, dass der Staat für kei­ne reli­giö­se Glau­bens­ge­mein­schaft Par­tei ergreift. Fol­ge davon wäre, so hofft Smith, dass sich die Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten bald auf­spal­te­ten und damit an Macht und Ein­fluss ver­lö­ren. Klei­ne­re Kir­chen sind, so Smith wei­ter, zwar macht­lo­ser, aber ihre Moral ist „oft­mals unso­zi­al oder zu streng“. Dage­gen soll­te der moder­ne Staat kon­kre­te Maß­nah­men ergrei­fen, und zwar durch die För­de­rung des Unter­richts der Natur­wis­sen­schaft und der Phi­lo­so­phie, den wich­tigs­ten Heil­mit­teln „gegen das Gift der Schwär­me­rei und des Aber­glau­bens“. Zudem soll­te der Staat öffent­li­che Zer­streu­un­gen und fröh­li­che Fes­te för­dern, „die immer schon Gegen­stand der Furcht und des Has­ses aller Auf­wieg­ler waren“. Auf­klä­rung und Unter­hal­tung sind also nach Smith die bes­ten Arz­nei­en gegen reli­giö­se Eng­stir­nig­keit und sek­tie­re­ri­schen Fanatismus.

Lässt sich daraus schließen, dass sich Smith als Atheist verstanden hat?

Die nega­ti­ven Urtei­le gegen­über kon­fes­sio­nell gebun­de­nen Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten bedeu­ten nicht, dass Smith irreli­gi­ös gewe­sen wäre. Er war viel­mehr Deist, also Anhän­ger jener oft „auf­ge­klärt“ genann­ten Form von Reli­gio­si­tät, die zwi­schen der neu ent­stan­de­nen Wis­sen­schaft und der alten Reli­gi­on ver­mit­teln woll­te, und der alle schot­ti­schen Auf­klä­rer außer Hume nahe­stan­den. Isaac New­ton hat­te gezeigt, dass mit der Annah­me einer Anzie­hung der Mas­sen sowohl das Fal­len eines Apfels als auch die Bewe­gun­gen der Pla­ne­ten erklärt wer­den kön­ne. Es herr­sche also im Uni­ver­sum Ord­nung, wodurch Leben ermög­licht wur­de. Auf­grund die­ser Erkennt­nis schlos­sen die Deis­ten, eben auch Smith, auf die Exis­tenz eines güti­gen Schöp­fers, der der Natur sei­ne wei­sen Plä­ne vorschrieb.

Welche Bedeutung hat Smith für den Kritischen Rationalismus, wie er von den Philosophen Karl Popper und Hans Albert vertreten wurde? 

Smit­hs Sys­tem der „natür­li­chen Ord­nung voll­kom­me­ner Frei­heit und Gerech­tig­keit“ kommt Karl Pop­pers Vor­stel­lun­gen einer offe­nen Gesell­schaft sehr nahe. Durch den Markt, durch Han­del und Gewer­be öff­ne­ten sich – im Ver­gleich zu feu­da­len Zei­ten – gro­ße Frei­räu­me. Abge­se­hen von der grö­ße­ren Mög­lich­keit zu krea­ti­vem, inno­va­ti­vem Han­deln durch die Arbeits­tei­lung ent­stan­den auch neue, freie­re sozia­le Bezie­hun­gen. Denn Unter­neh­mer hän­gen nicht wie in feu­da­len Zei­ten von einem oder eini­gen weni­gen Ade­li­gen ab, son­dern von vie­len Kun­den. Die­se wie­der­um haben zumin­dest in einer grö­ße­ren Stadt mehr Mög­lich­kei­ten, aus ver­schie­de­nen Unter­neh­men zu wählen.

Der Markt führ­te zudem zu mehr Ord­nung und Sicher­heit, weil die Macht sich auf­fä­cher­te und es schließ­lich zur Gewal­ten­tei­lung zwi­schen Staat, Wirt­schaft und unab­hän­gi­ger Jus­tiz kam. Erst die­se Gewal­ten­tei­lung garan­tiert die Frei­heit ein­zel­ner und die Gleich­heit aller vor dem Gesetz. Im drit­ten Buch des Wealth of Nati­ons zeich­net Smith die Ent­wick­lung Euro­pas aus einem Zustand feu­da­ler Des­po­tie zu demo­kra­ti­sche­ren Macht­ver­hält­nis­sen nach, wobei die Unsicht­ba­re Hand des Mark­tes die ent­schei­den­de Rol­le spiel­te. Denn nie­mand dach­te dar­an, eine Demo­kra­tie zu schaf­fen: Die Ade­li­gen pfleg­ten vor allem ihre Eitel­keit, und die weni­gen Händ­ler inter­es­sier­te vor allem ihr Ein­kom­men. Und doch waren nach Jahr­hun­der­ten mehr Frei­heit und mehr Sicher­heit die nicht-inten­dier­ten Fol­gen ihres Handelns.

Alle die­se Ana­ly­sen pas­sen vor­züg­lich zu Karl Pop­pers Kon­zep­ti­on einer offe­nen Gesell­schaft. Der von Smith ver­tei­dig­te Deis­mus fügt sich aller­dings nicht in kri­tisch-ratio­na­les Den­ken. Schon Hume hat­te grund­le­gen­de Beden­ken geäu­ßert. Sei­ner Mei­nung nach lässt die Welt­ord­nung, in der es auch Tod, Krank­heit, Leid, Erd­be­ben, Ein­schlä­ge von Kome­ten, Unge­rech­tig­keit und Krieg gibt, auf kei­nen güti­gen Gott schlie­ßen. In sei­nen Dia­lo­gues con­cer­ning Natu­ral Reli­gi­on arbei­tet er sei­ne Kri­tik am Deis­mus detail­liert aus. Ob der Bri­sanz des Inhalts ver­öf­fent­lich­te Hume die­se Arbeit zu Leb­zei­ten nicht, woll­te aber unbe­dingt die post­hu­me Aus­ga­be sicher­stel­len und ersuch­te Freund Smith wie­der­holt, ihm die­sen letz­ten Wunsch zu erfül­len. Aber die­ser lehn­te ab, auch noch an Humes Sterbebett.

Es ist das Theo­di­zee­pro­blem, das die Prin­zi­pi­en des Deis­mus fun­da­men­tal infra­ge stellt. Hume hat­te die ent­schei­den­den kri­ti­schen Argu­men­te bereits vor­ge­bracht – und Hans Albert wür­de, davon bin ich über­zeugt, nicht dem Smit­h­schen Deis­mus, son­dern der Hume­schen Kri­tik dar­an voll­in­halt­lich zustim­men, ergänzt durch den Hin­weis auf Dar­wins Evo­lu­ti­ons­theo­rie, der zufol­ge die Ord­nung in der Natur ganz anders, näm­lich durch Anpas­sung erklärt wer­den könne.

Smit­hs For­scher­geist war im ruhi­gen, wenn auch etwas seich­ten Was­ser des Deis­mus vor Anker gegan­gen, wo kei­ne kal­ten Strö­mun­gen aus der Tie­fe die Ober­flä­che errei­chen konn­ten. Er hielt an einer Letzt­be­grün­dung in Form einer zweck­be­stimm­ten, von einem wohl­wol­len­den Gott geschaf­fe­nen Ord­nung fest. In die­sem Punkt ent­schied sich der gro­ße Auf­klä­rer gegen die Ein­sich­ten der Ver­nunft. Smith über­wand sei­ne Ängs­te vor einem „vater­lo­sen Kos­mos“, indem er – trotz aller Guck­käs­ten des Uner­träg­li­chen und der Fül­le resi­gnier­ten Elends – es sich in einer meta­phy­si­schen Hän­ge­mat­te bequem machte.

Worüber würden Sie sich gerne mit Smith unterhalten, wenn er heute noch leben würde? 

Ich hät­te Scheu, ihn direkt dazu zu befra­gen, ver­such­te aber, Smith in ein Gespräch zu ver­wi­ckeln, um mehr zu erfah­ren über sei­ne Groß­zü­gig­keit und sei­ne aus­ge­präg­te empa­thi­sche Fähig­keit, an der emo­tio­na­len Situa­ti­on ande­rer teil­zu­ha­ben. Der Begrün­der der Wirt­schafts­wis­sen­schaft hat­te, wie schon erwähnt, einen Groß­teil sei­nes Ver­mö­gens an Arme ver­schenkt, wes­halb bei sei­nem Begräb­nis im Juli 1790 Men­schen zu sehen waren, die übli­cher­wei­se einem Uni­ver­si­täts­pro­fes­sor nicht die letz­te Ehre erweisen.

Sodann inter­es­sier­te mich sei­ne Mei­nung zur größ­ten Kri­se unse­rer Tage, viel­leicht der Mensch­heit über­haupt – also zum Kli­ma­wan­del. Smith wäre gewiss offen für die­se Fra­ge und kei­nes­wegs über­rascht, dass die Unsicht­ba­re Hand des Mark­tes gele­gent­lich an Arthri­tis lei­det und schreck­lich dane­ben­greift. Denn zum einen hat­te er im Zusam­men­hang mit der Arbeits­tei­lung selbst beob­ach­tet, dass die exzes­si­ve Tei­lung der Arbeit zur geis­ti­gen Ver­küm­me­rung der Arbei­ten­den führt – und auf­grund die­ser Tat­sa­che gefor­dert, dass der Staat durch Bil­dung ein­grei­fen müs­se, um die­se nega­ti­ven und demo­kra­tie­be­dro­hen­den Kon­se­quen­zen abzu­mil­dern. Heu­te sind es öko­lo­gi­sche Kri­sen, die sich – von Men­schen unbe­ab­sich­tigt – aus dem Markt­ge­sche­hen erge­ben haben. Zum ande­ren ver­trat Smith als Deist einen sehr posi­ti­ven Natur­be­griff, sol­len sich doch in der Natur die Gedan­ken Got­tes spie­geln. Sei­ner Mei­nung nach wäre es daher drin­gend gebo­ten, Got­tes Schöp­fung zu bewahren.

Welche konkreten Antworten würde Smith hierzu vorschlagen?

Wahr­schein­lich ver­wie­se er zunächst auf den inno­va­ti­ven mensch­li­chen Geist, der im Zusam­men­hang mit den Mecha­nis­men des Mark­tes man­ches öko­lo­gi­sche Pro­blem lösen wer­de. Aber soll­te dies nicht genü­gen, müss­te – so der Moral­phi­lo­soph Smith – die Indus­trie schrump­fen. Den nahe­lie­gen­den Ein­wand und die exis­ten­ti­el­le Befürch­tung, dass dann Hun­ger und Ver­elen­dung droh­ten, begeg­ne­te er wahr­schein­lich mit dem Argu­ment, dass in den 70er Jah­ren die Indus­trie nur halb so groß war wie heu­te und wür­de rhe­to­risch fra­gen, ob es uns damals so viel schlech­ter ergan­gen sei.

Auf die Fra­ge, war­um öko­lo­gi­sche Pro­ble­me im Wealth of Nati­ons kei­ne Rol­le spie­len, wür­de Smith ver­mut­lich erwi­dern, dass es damals vor dem Hin­ter­grund gro­ßer Not um das Pro­blem gegan­gen sei, wie mehr Waren und die­se bil­li­ger pro­du­ziert wer­den könn­ten. Aber heu­te gin­ge es um etwas ganz ande­res, näm­lich um die Über­le­bens­fra­ge, wie wir mit weni­ger bes­ser leben, und es bestün­de die Not­wen­dig­keit, ehest­mög­lich nur noch das zu pro­du­zie­ren, was wie­der­ver­wer­tet wer­den könne.

Auf die wie­der­hol­te kri­ti­sche Fra­ge, ob dies nicht gänz­lich uto­pisch sei, da ein sol­cher Umbau der Gesell­schaft einen all­ge­mei­nen gro­ßen finan­zi­el­len Ver­lust bedeu­te, wür­de der Moral­phi­lo­soph ver­mut­lich ant­wor­ten, dass die Grund­be­dürf­nis­se aller – bei rich­ti­ger Ver­tei­lung – ohne­dies gedeckt sei­en und dass es im Grun­de auch heu­te nicht um Reich­tum, son­dern um das Wohl­erge­hen der Men­schen gehe, um den Wohl­stand der Natio­nen. Um das zu ver­ste­hen und wirk­lich ernst zu neh­men, sei­en die Ein­sich­ten der stoi­schen Phi­lo­so­phie beson­ders wich­tig – wie auch das Bewusst­wer­den der Tat­sa­che, dass vie­le der bes­ten Din­ge im Leben ohne­hin umsonst seien.

Im Juni jährt sich der 300. Geburts­tag von Adam Smith. Ger­hard Stre­min­ger, Phi­lo­soph und Bei­rats­mit­glied des Hans-Albert-Insti­tuts, hat eine Bio­gra­fie über den schot­ti­schen Auf­klä­rer geschrie­ben, die kürz­lich als E‑Book bei Rowohlt ver­öf­fent­licht wur­de. Im Inter­view erklärt Stre­min­ger, was das Den­ken von Smith aus­zeich­net und wel­che Miss­ver­ständ­nis­se bei der Inter­pre­ta­ti­on sei­nes Werks kursieren.

Adam Smith gilt als Begrün­der der moder­nen Natio­nal­öko­no­mie. War­um lohnt es, sich heu­te noch mit ihm zu befassen?

Den Haupt­grund für eine loh­nen­de Beschäf­ti­gung mit Smith sehe ich dar­in, dass er – im Gegen­satz zu vie­len Theo­re­ti­kern der Poli­ti­schen Öko­no­mie – in sei­nem berühm­ten Werk Wealth of Nati­ons sowohl die Bedeu­tung des Mark­tes als auch die­je­ni­ge des Staa­tes beleuch­tet. In sei­nem Sys­tem der „natür­li­chen Ord­nung voll­kom­me­ner Frei­heit und (!) Gerech­tig­keit“ ver­schrän­ken sich die Unsicht­ba­re Hand des Mark­tes und die Sicht­ba­re Hand des Staa­tes.

In der Plan­wirt­schaft – und den feu­da­len Sys­te­men, die Smith vor­fand – wird von oben regiert, ein Ent­wurf für die Wirt­schaft erstellt und den Staats­bür­gern dik­tiert. Ein Markt, wie wir ihn ken­nen, der im Wesent­li­chen auf Eigen­in­itia­ti­ve beruht, ist ver­pönt, wodurch indi­vi­du­el­le Frei­hei­ten extrem ein­ge­schränkt sind – also die Wün­sche nach Selbst­be­stim­mung, nach geis­ti­ger und kul­tu­rel­ler Ver­än­de­rung und nach einer Ver­bes­se­rung der wirt­schaft­li­chen Situa­ti­on. Der Name Smith ist eng ver­bun­den mit einer Kri­tik an sol­chen Plan­wirt­schaf­ten einer­seits nd einem Plä­doy­er für die Bedeu­tung des Mark­tes ande­rer­seits. Durch das freie Spiel der Markt­kräf­te kön­nen sich, so Smith, Ange­bot und Nach­fra­ge in best­mög­li­cher Wei­se anpas­sen und rasch zum natür­li­chen Preis ten­die­ren, der die Sum­me der Pro­duk­ti­ons­kos­ten widerspiegelt.

Im Neo­li­be­ra­lis­mus und den dort zu fin­den­den Brand­re­den für eine freie Markt­wirt­schaft gilt der Staat als Pro­blem und der Markt als Lösung. Des­halb wer­den staat­li­che Auf­ga­ben auf Weni­ges, auf Exe­ku­ti­ve, Legis­la­ti­ve und Lan­des­ver­tei­di­gung beschränkt. Aber nach Smith hat der Staat dar­über hin­aus wei­te­re zen­tra­le Auf­ga­ben zu erfül­len, wovon eini­ge der wich­tigs­ten erwähnt sind: Errich­tung einer volks­wirt­schaft­lich not­wen­di­gen – aber betriebs­wirt­schaft­lich unpro­fi­ta­blen – Infra­struk­tur; Auf­bau eines all­ge­mei­nen Bil­dungs­sys­tems, um die nega­ti­ven Fol­gen der Arbeits­tei­lung zu mil­dern; die Siche­rung des Mark­tes durch Ver­hin­de­rung von Kar­tell­bil­dun­gen sowie eine gerech­te Besteue­rung aller Markt­teil­neh­mer, wobei Rei­che kräf­ti­ger zur Kas­se gebe­ten wer­den sol­len als andere.


Smith wird heu­te vor allem mit dem Neo­li­be­ra­lis­mus und der For­de­rung nach frei­en Märk­ten in Ver­bin­dung gebracht. Wieso?

Smith setz­te sich mit Nach­druck für den Frei­han­del ein, weil die­ser sei­ner Mei­nung nach drei gro­ße Vor­tei­le besitzt: Ers­tens kön­nen Män­gel, die in einem bestimm­ten Gebiet auf­tre­ten, ohne Han­dels­gren­zen best­mög­lich aus­ge­gli­chen wer­den. Zwei­tens kom­men durch frei­en Han­del in jedem Land die natür­li­chen Vor­tei­le zum Tra­gen, die es gegen­über ande­ren besitzt: Dar­an wird das Land ver­die­nen, und die Waren wer­den ins­ge­samt mög­lichst bil­lig und für vie­le erschwing­lich sein. Smit­hs Para­de­bei­spiel ist hier der Wein­bau in Frank­reich sowie die Schaf­zucht in Schott­land: Natür­lich könn­ten auch in sei­ner schot­ti­schen Hei­mat mit erwärm­tem Mau­er­werk und beson­ders kul­ti­vier­ten Böden gute Wei­ne gekel­tert wer­den. Aber eine Fla­sche Wein dürf­te dann zehn Mal so viel kos­ten wie eine aus Frank­reich. Drit­tens wer­den durch den frei­en Han­del die Län­der auf wirt­schaft­li­chem Gebiet von­ein­an­der abhän­gig. Auf lan­ge Sicht wird die­ser „Wan­del durch Han­del“, so hofft Smith, zum ewi­gen Frie­den führen.

Der Autor des Wealth of Nati­ons sprach sich also für den frei­en Han­del aus, plä­dier­te aller­dings für eine behut­sa­me Ein­füh­rung des­sel­ben, damit sich die hei­mi­sche Wirt­schaft an die neu­en Umstän­de anpas­sen kön­ne und Mas­sen­ar­beits­lo­sig­keit ver­mie­den werde.


Es ist also rich­tig, dass Smith als Vor­den­ker des Neo­li­be­ra­lis­mus gedeu­tet wird?

Bezüg­lich des Frei­han­dels ist die neo­li­be­ra­le Deu­tung mei­nes Erach­tens grund­sätz­lich rich­tig. Aber sie geht fehl, wenn behaup­tet wird, Smith plä­dier­te für Selbst­sucht als Trieb­fe­der des Wirt­schaf­tens und sprä­che gleich­sam von einem „Segen des Ego­is­mus“. Alle Neo­li­be­ra­le stüt­zen sich dabei in ihrer Deu­tung auf die berühm­te „Metz­ger, Brau­er, Bäcker“- Pas­sa­ge zu Beginn des Wealth of Nati­ons. Smith schreibt dort, dass wir nicht vom Wohl­wol­len ande­rer jene Güter erwar­ten, die wir zum Leben brau­chen, son­dern indem wir an das Selbst­in­ter­es­se der Ver­käu­fer appellieren.

Nun spielt Wohl­wol­len im Pro­zess des Tau­sches von Waren tat­säch­lich eine unter­ge­ord­ne­te Rol­le, denn alle Teil­neh­mer erwar­ten sich vom Ver­kauf bzw. Kauf einer Ware einen Vor­teil. Wohl­wol­len ist anders­wo, näm­lich im emo­tio­na­len Nah­be­reich von zen­tra­ler Bedeu­tung, etwa wenn wir Kin­dern ohne viel zu den­ken das geben, was sie benö­ti­gen. Wenn wir nun im Tausch von Waren an das „Selbst­in­ter­es­se“ der Ver­käu­fer appel­lie­ren, so ver­steht Smith dar­un­ter nicht ein­fach die Selbst­sucht oder den Ego­is­mus des homo oeco­no­mic­us, son­dern etwas viel Kom­ple­xe­res. Ins­be­son­de­re in sei­ner Ethik betont Smith, dass es im wah­ren Inter­es­se aller, also gera­de auch im Eigen­in­ter­es­se der Unter­neh­mer ist, ein gutes, glück­li­ches Leben zu füh­ren. Ein sol­ches ist jedoch nur mög­lich, wenn sie auch mora­lisch sind. Aber Mora­li­tät schließt nicht nur die Sor­ge um sich selbst ein, son­dern auch die Sor­ge um ande­re. Da Selbst­sucht und Ego­is­mus somit nicht im wah­ren Inter­es­se der Unter­neh­mer ist, soll­ten sie sich, so Smith, auch aus Eigen­in­ter­es­se wie fai­re Sport­ler verhalten.

Es war die­se Gesin­nung und kei­ne unge­zü­gel­te Berei­che­rungs­sucht, die an der geis­ti­gen Wie­ge der Markt­wirt­schaft stand. Die­se Hal­tung fand in einem kul­ti­vier­ten Eigen­in­ter­es­se die Trieb­kraft zur Ver­bes­se­rung der Gesell­schaft. Es stimmt somit nicht, wie Neo­li­be­ra­le oft zu behaup­ten pfle­gen, dass nur die Kon­se­quen­zen wirt­schaft­li­chen Han­delns ent­schei­dend sei­en und dass für Smith der mora­li­sche Wert der Gesin­nung dabei kei­ne Rol­le gespielt hätte.


Wor­an liegt es, dass Smith so oft miss­ver­stan­den wurde? 

Der Grund dürf­te in der Tat­sa­che zu fin­den sein, dass nach den Napo­leo­ni­schen Krie­gen die For­de­run­gen nach mehr Markt und Frei­han­del zu enor­mem Reich­tum und mate­ri­el­ler Bes­ser­stel­lung vie­ler geführt hat­te. Dass Smith aber den Wohl­stand (wealth) der Men­schen, nicht bloß den Reich­tum (rich­ness) der Indus­trien im Auge gehabt hat­te, wur­de igno­riert. Jene spä­te­ren Kapi­tel im Wealth of Nati­ons, in denen sich der Autor Gedan­ken dazu mach­te, wur­den über­blät­tert; und Smit­hs ethi­sche Schrift, die Theo­ry of Moral Sen­ti­ments wur­de schlicht­weg ver­ges­sen. Ein ethi­sches Reflek­tie­ren über den gewon­ne­nen Reich­tum lag in den ers­ten Jahr­zehn­ten des 19. Jahr­hun­derts offen­bar nicht im Trend der Zeit. Dies ist umso bedau­er­li­cher, als Smith nur zwei Bücher ver­öf­fent­lich­te und sei­ne ethi­sche Schrift zudem für wich­ti­ger gehal­ten hat­te als den Wealth of Nati­ons. In sei­nen letz­ten Lebens­jah­ren über­ar­bei­te­te er auch nicht sei­ne Poli­ti­sche Öko­no­mie, son­dern die Theo­ry of Moral Sen­ti­ments – und schrieb so vie­le Ergän­zun­gen, dass das Buch nun in zwei Bän­den publi­ziert wer­den musste.


Wel­che Vor­aus­set­zun­gen müs­sen laut Smith für ein gerech­tes Wirt­schafts­sys­tem erfüllt sein? 

Ein gerech­tes Wirt­schafts­sys­tem exis­tiert für Smith erst dann, wenn der Staat wich­ti­ge Auf­ga­ben über­nimmt. Die­ser muss sich, gleich­sam als – im bes­ten Fall — insti­tu­tio­na­li­sier­tes Wohl­wol­len, dar­um küm­mern, dass es Arbei­ter­or­ga­ni­sa­tio­nen, hohe Löh­ne, Arbei­ter­schutz und Bil­dung für alle gibt, und dass die Kre­dit­zin­sen nicht über fünf Pro­zent stei­gen, um Spe­ku­la­tio­nen zu ver­hin­dern — ein invest­ment ban­king, wie wir es ken­nen, wür­de Smith also auf kei­nen Fall gut­hei­ßen. Der Staat muss zudem dafür sor­gen, dass der Markt funk­tio­niert und sich Unter­neh­mer wie fai­re Sport­ler verhalten.


Wie wür­de Smith die gegen­wär­ti­ge Situa­ti­on beurteilen?

Er wäre wohl beein­druckt von der gelun­ge­nen Glo­ba­li­sie­rung der Wirt­schaft, vom Aus­maß an Bil­dung und – trotz allem – von der Qua­li­tät der Infra­struk­tur und des Gesund­heits­we­sens. Aber ein Ver­sa­gen des Staa­tes sähe er in den Markt­ver­zer­run­gen, die durch unge­rech­te oder man­geln­de Besteue­rung ent­stan­den sind. Dass man­che über­na­tio­nal täti­gen Groß­kon­zer­ne kei­ne Steu­ern in jenen Län­dern zah­len, in denen sie ihren Pro­fit erzie­len, wäh­rend die hei­mi­schen Betrie­be in den Ein­kaufs­stra­ßen ihre Steu­er­last tra­gen, ist eine unak­zep­ta­ble Markt­ver­zer­rung. Ein ande­res Bei­spiel wäre: Die 30 Groß­ban­ken sind angeb­lich too big to fail. Bei Licht bese­hen heißt das, dass sie zu mäch­tig sind, um noch den Markt­me­cha­nis­men unter­wor­fen zu sein. In die­sen bei­den Fäl­len sähe Smith ein fol­gen­rei­ches Ver­sa­gen des Staa­tes und eine unnö­ti­ge Schaf­fung neu­er, demo­kra­tisch nicht legi­ti­mier­ter rie­si­ger Machtzentren.


Was für ein Mensch war Smith im per­sön­li­chen Umgang? Wel­che Cha­rak­ter­zü­ge zeich­ne­ten ihn aus? 

Smith gilt all­ge­mein als ziem­lich sprö­de, gar sauer­töp­fisch und sehr pro­fes­so­ral. Wahr ist jedoch, dass er über­aus empa­thisch, wohl­wol­lend und extrem frei­ge­big war. So ver­schenk­te er den Groß­teil sei­nes Ver­mö­gens an arme Men­schen. Für Smith war Wohl­tä­tig­keit eine Sache des Her­zens und der Hän­de. Aber neben die­sen stark aus­ge­bil­de­ten altru­is­ti­schen Cha­rak­ter­ei­gen­schaf­ten hat­te er zeit­le­bens ein ziem­lich hit­zi­ges Gemüt, wes­halb der von ihm pro­pa­gier­te Stoi­zis­mus für ihn auch ein exis­ten­ti­el­les Anlie­gen war. So sol­len Sit­zun­gen an der Uni­ver­si­tät Glas­gow gele­gent­lich in Hand­greif­lich­kei­ten geen­det haben. Und als der von Todes­ängs­ten geplag­te Dr. John­son, der dama­li­ge Doy­en der eng­li­schen Lite­ra­tur, ihn wegen Humes gelas­se­ner Ein­stel­lung gegen­über dem Tod als Lüg­ner bezeich­ne­te, soll ihn Smith als „Huren­sohn“ beschimpft und erbost den Raum ver­las­sen haben.


Adam Smith war eng befreun­det mit dem Phi­lo­so­phen David Hume. Was ver­band die bei­den Denker? 

Die Freund­schaft zwi­schen David Hume und Adam Smith ist eine der weni­gen Freund­schaf­ten zwei­er geni­al begab­ter Men­schen, die die Geschich­te kennt. Die bei­den Fix­ster­ne am Him­mel der Auf­klä­rung, des Huma­nis­mus und Libe­ra­lis­mus hat­ten vie­les gemein­sam: Bei­de ent­stamm­ten alten schot­ti­schen Fami­li­en; bei­de Väter waren Rechts­an­wäl­te; bei­de wuch­sen prak­tisch vater­los auf und bei­de hat­ten tiefre­li­giö­se Mütter.

Aber Smith wur­de in einer klei­nen, sehr leben­di­gen Han­dels- und Hafen­stadt groß, wäh­rend Hume im Som­mer auf einem ver­schla­fe­nen Gut im Süden Schott­lands und in den Win­ter­mo­na­ten im kul­tu­rell rei­chen und kos­mo­po­li­tisch gesinn­ten Edin­burgh leb­te. Wäh­rend Hume in der Haupt­stadt Jura stu­dier­te, ging Smith im damals noch eher pro­vin­zi­el­len Glas­gow zur Uni­ver­si­tät, fand dort jedoch in der Per­son des Phi­lo­so­phen Fran­cis Hut­che­son einen beson­ders anre­gen­den Leh­rer. Hume hin­ge­gen fand nie einen wirk­lich guten Päd­ago­gen und war zudem reli­gi­ons­kri­ti­scher gesinnt als Smith, wes­halb sei­ne bei­den Bewer­bun­gen um einen Lehr­stuhl für Phi­lo­so­phie kläg­lich schei­ter­ten. Smith jedoch wur­de mit 28 Jah­ren Pro­fes­sor für Logik an der Uni­ver­si­tät Glas­gow, ein Jahr spä­ter erhielt er den Lehr­stuhl für Moralphilosophie.


Wie wur­de Smith von Hume intel­lek­tu­ell beeinflusst?

Neben Humes Trea­tise of Human Natu­re, jenem drei­bän­di­gen Werk, das heu­te neben John Lockes Essay con­cer­ning Human Under­stan­ding als das wich­tigs­te Zeug­nis der eng­lisch­spra­chi­gen Phi­lo­so­phie gilt, waren es zwei wei­te­re Schrif­ten des um 12 Jah­re Älte­ren, die auf Smith einen nach­hal­ti­gen Ein­druck mach­ten: Die 1751 ver­öf­fent­li­che Enqui­ry con­cer­ning the Princi­ples of Morals sowie die im dar­auf­fol­gen­den Jahr publi­zier­ten Poli­ti­cal Dis­cour­ses.

In derUnter­su­chung über die Prin­zi­pi­en der Moral“ ent­wi­ckel­te Hume – im Anschluss an Hut­che­son – eine Gefühls­ethik. Sei­ner Ansicht nach sind es letzt­lich Emp­fin­dun­gen, mit deren Hil­fe wir das mora­lisch Gute und ästhe­tisch Schö­ne erfas­sen. Der Ver­stand ver­mag zwar in Ver­bin­dung mit Erfah­rung und Expe­ri­ment grund­sätz­lich Wah­res und Fal­sches zu erken­nen, nicht jedoch Rich­ti­ges und Unrich­ti­ges, Schö­nes und Häss­li­ches. Dafür sind spe­zi­el­le Gefüh­le zustän­dig. Aber um die­se aus der Fül­le an Emo­tio­nen frei­zu­le­gen, bedarf es des Ver­stan­des. Denn erst durch logisch-dis­kur­si­ves Den­ken, mit des­sen Hil­fe nach Erklä­run­gen gesucht und mög­li­che Kon­se­quen­zen erschlos­sen wer­den, sowie mit Hil­fe der Ein­bil­dungs­kraft, die uns in die Lage ande­rer ver­setzt und so ver­ste­hen lässt, gelan­gen jene spe­zi­fi­schen Gefüh­le an die Ober­flä­che des Bewusst­seins. Um das Gute und Schö­ne erken­nen zu kön­nen, sind Ver­stan­des­leis­tun­gen somit nötig, aber nicht hin­rei­chend, da unser Wer­te­be­wusst­sein kein rein ratio­na­les Wis­sen ist.

Die­se Über­le­gun­gen baut Smith in sei­ner 1759 ver­öf­fent­lich­ten Theo­ry of Moral Sen­ti­ments wei­ter aus, wobei vie­le sei­ner Refle­xio­nen um eini­ges sub­ti­ler sind als die­je­ni­gen Humes. Wesent­lich deut­li­cher ist sei­ne Beto­nung der Not­wen­dig­keit einer Per­spek­ti­ve der Unpar­tei­lich­keit im Pro­zess des Erken­nens mora­li­scher Wer­te. Die­ses Behar­ren auf ein zusätz­li­ches kogni­ti­ves Bemü­hen dürf­te auf Imma­nu­el Kant einen enor­men Ein­fluss aus­ge­übt haben, der Smith sei­nen „Lieb­ling“ genannt haben soll.

Eine drit­te wich­ti­ge Quel­le, aus der Smith zahl­rei­che Hume­sche Anre­gun­gen schöpf­te, waren die „Poli­ti­schen Dis­kur­se“. Hume ent­wi­ckelt dar­in die Grund­ge­dan­ken der klas­si­schen Öko­no­mie, wobei etwa sein Plä­doy­er für frei­en Han­del Smit­hs dies­be­züg­li­che Erör­te­run­gen an Elo­quenz über­trifft. Humes For­mu­lie­run­gen sind wahr­schein­lich das Prä­gnan­tes­te, das jemals zu die­sem The­ma geschrie­ben wur­de. Die vie­len Gedan­ken­fä­den, die Smith aus die­ser und vie­len ande­ren Quel­len bezog, ver­dich­te­te er dann zum Wealth of Nati­ons, dem gro­ßen Lehr­buch der Wirt­schafts­wis­sens­haft. In die­sem Meis­ter­werk nennt Smith Freund Hume „den bei wei­tem berühm­tes­ten Phi­lo­so­phen und His­to­ri­ker unse­rer Zeit“.

1777, eini­ge Mona­te nach Humes Tod, ver­öf­fent­lich­te Smith sei­ne Toten­re­de auf Hume und mein­te im Schluss­satz, dass er ihn immer als den­je­ni­gen erach­tet habe, der „dem Ide­al eines voll­kom­men wei­sen und mora­li­schen Men­schen so nahe­kam, wie es das Wesen mensch­li­cher Schwä­che viel­leicht über­haupt erlaubt“. Für die­se Hei­lig­spre­chung des gro­ßen Ungläu­bi­gen, des Vaters der moder­nen, empi­ris­tisch-skep­tisch ori­en­tier­ten Phi­lo­so­phie, ern­te­te Smith wüs­te Beschimp­fun­gen und den Vor­wurf mora­li­scher Defizite.


Inwie­fern kann Smith in die Tra­di­ti­ons­ge­schich­te der Auf­klä­rung gestellt werden? 

Smit­hs Über­le­gun­gen zur Bedeu­tung des Mark­tes für die Gesell­schaft war mit­ver­ant­wort­lich für die Befrei­ung oder Eman­zi­pa­ti­on des Indi­vi­du­ums. Noch im 17. Jahr­hun­dert konn­te man sich eine sozia­le Ord­nung nur als eine von oben ein­ge­setz­te und immer wie­der zu kor­ri­gie­ren­de Ord­nung vor­stel­len. Die Obrig­keit war somit Wirt­schaf­ter und Ver­wal­ter des See­len­heils der Unter­ta­nen. Die­ser Auf­fas­sung setz­te Smith die Idee einer sta­bi­len und libe­ra­len Ord­nung ent­ge­gen, in der alle Mit­glie­der einer Gesell­schaft ihren Lebens­plan weit­ge­hend ver­wirk­li­chen kön­nen und, etwa durch öko­no­mi­sche Akti­vi­tät, ande­re dadurch zumeist sogar noch för­dern. Die Annah­me einer natür­li­chen, nicht-auto­ri­tä­ren Ord­nung begrün­de­te Smith zum einen mit dem Hin­weis auf die nach Mora­li­tät stre­ben­de mensch­li­che Natur und zum ande­ren mit den häu­fig wohl­tä­ti­gen Mecha­nis­men des Mark­tes. Bedin­gung ist aller­dings, dass Markt und Indi­vi­du­en ein­ge­bet­tet sind in ein auf­ge­klär­tes Staats­ge­fü­ge, das die Grund­re­geln vor­gibt und deren Nicht­be­fol­gung ahn­det sowie wich­ti­ge Auf­ga­ben über­nimmt – ins­be­son­de­re, wie schon erwähnt, auf dem Gebiet der Infra­struk­tur und Bildung.

Wel­ches Ver­hält­nis hat­te Smith zur Religion?

Smith sprach sich für die strik­te Tren­nung von Staat und Kir­che aus, und zwar in dem Sinn, dass der Staat für kei­ne reli­giö­se Glau­bens­ge­mein­schaft Par­tei ergreift. Fol­ge davon wäre, so hofft Smith, dass sich die Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten bald auf­spal­te­ten und damit an Macht und Ein­fluss ver­lö­ren. Klei­ne­re Kir­chen sind, so Smith wei­ter, zwar macht­lo­ser, aber ihre Moral ist „oft­mals unso­zi­al oder zu streng“. Dage­gen soll­te der moder­ne Staat kon­kre­te Maß­nah­men ergrei­fen, und zwar durch die För­de­rung des Unter­richts der Natur­wis­sen­schaft und der Phi­lo­so­phie, den wich­tigs­ten Heil­mit­teln „gegen das Gift der Schwär­me­rei und des Aber­glau­bens“. Zudem soll­te der Staat öffent­li­che Zer­streu­un­gen und fröh­li­che Fes­te för­dern, „die immer schon Gegen­stand der Furcht und des Has­ses aller Auf­wieg­ler waren“. Auf­klä­rung und Unter­hal­tung sind also nach Smith die bes­ten Arz­nei­en gegen reli­giö­se Eng­stir­nig­keit und sek­tie­re­ri­schen Fanatismus.


Lässt sich dar­aus schlie­ßen, dass sich Smith als Athe­ist ver­stan­den hat?

Die nega­ti­ven Urtei­le gegen­über kon­fes­sio­nell gebun­de­nen Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten bedeu­ten nicht, dass Smith irreli­gi­ös gewe­sen wäre. Er war viel­mehr Deist, also Anhän­ger jener oft „auf­ge­klärt“ genann­ten Form von Reli­gio­si­tät, die zwi­schen der neu ent­stan­de­nen Wis­sen­schaft und der alten Reli­gi­on ver­mit­teln woll­te, und der alle schot­ti­schen Auf­klä­rer außer Hume nahe­stan­den. Isaac New­ton hat­te gezeigt, dass mit der Annah­me einer Anzie­hung der Mas­sen sowohl das Fal­len eines Apfels als auch die Bewe­gun­gen der Pla­ne­ten erklärt wer­den kön­ne. Es herr­sche also im Uni­ver­sum Ord­nung, wodurch Leben ermög­licht wur­de. Auf­grund die­ser Erkennt­nis schlos­sen die Deis­ten, eben auch Smith, auf die Exis­tenz eines güti­gen Schöp­fers, der der Natur sei­ne wei­sen Plä­ne vorschrieb.


Wel­che Bedeu­tung hat Smith für den Kri­ti­schen Ratio­na­lis­mus, wie er von den Phi­lo­so­phen Karl Pop­per und Hans Albert ver­tre­ten wurde?

Smit­hs Sys­tem der „natür­li­chen Ord­nung voll­kom­me­ner Frei­heit und Gerech­tig­keit“ kommt Karl Pop­pers Vor­stel­lun­gen einer offe­nen Gesell­schaft sehr nahe. Durch den Markt, durch Han­del und Gewer­be öff­ne­ten sich – im Ver­gleich zu feu­da­len Zei­ten – gro­ße Frei­räu­me. Abge­se­hen von der grö­ße­ren Mög­lich­keit zu krea­ti­vem, inno­va­ti­vem Han­deln durch die Arbeits­tei­lung ent­stan­den auch neue, freie­re sozia­le Bezie­hun­gen. Denn Unter­neh­mer hän­gen nicht wie in feu­da­len Zei­ten von einem oder eini­gen weni­gen Ade­li­gen ab, son­dern von vie­len Kun­den. Die­se wie­der­um haben zumin­dest in einer grö­ße­ren Stadt mehr Mög­lich­kei­ten, aus ver­schie­de­nen Unter­neh­men zu wählen.

Der Markt führ­te zudem zu mehr Ord­nung und Sicher­heit, weil die Macht sich auf­fä­cher­te und es schließ­lich zur Gewal­ten­tei­lung zwi­schen Staat, Wirt­schaft und unab­hän­gi­ger Jus­tiz kam. Erst die­se Gewal­ten­tei­lung garan­tiert die Frei­heit ein­zel­ner und die Gleich­heit aller vor dem Gesetz. Im drit­ten Buch des Wealth of Nati­ons zeich­net Smith die Ent­wick­lung Euro­pas aus einem Zustand feu­da­ler Des­po­tie zu demo­kra­ti­sche­ren Macht­ver­hält­nis­sen nach, wobei die Unsicht­ba­re Hand des Mark­tes die ent­schei­den­de Rol­le spiel­te. Denn nie­mand dach­te dar­an, eine Demo­kra­tie zu schaf­fen: Die Ade­li­gen pfleg­ten vor allem ihre Eitel­keit, und die weni­gen Händ­ler inter­es­sier­te vor allem ihr Ein­kom­men. Und doch waren nach Jahr­hun­der­ten mehr Frei­heit und mehr Sicher­heit die nicht-inten­dier­ten Fol­gen ihres Handelns.

Alle die­se Ana­ly­sen pas­sen vor­züg­lich zu Karl Pop­pers Kon­zep­ti­on einer offe­nen Gesell­schaft. Der von Smith ver­tei­dig­te Deis­mus fügt sich aller­dings nicht in kri­tisch-ratio­na­les Den­ken. Schon Hume hat­te grund­le­gen­de Beden­ken geäu­ßert. Sei­ner Mei­nung nach lässt die Welt­ord­nung, in der es auch Tod, Krank­heit, Leid, Erd­be­ben, Ein­schlä­ge von Kome­ten, Unge­rech­tig­keit und Krieg gibt, auf kei­nen güti­gen Gott schlie­ßen. In sei­nen Dia­lo­gues con­cer­ning Natu­ral Reli­gi­on arbei­tet er sei­ne Kri­tik am Deis­mus detail­liert aus. Ob der Bri­sanz des Inhalts ver­öf­fent­lich­te Hume die­se Arbeit zu Leb­zei­ten nicht, woll­te aber unbe­dingt die post­hu­me Aus­ga­be sicher­stel­len und ersuch­te Freund Smith wie­der­holt, ihm die­sen letz­ten Wunsch zu erfül­len. Aber die­ser lehn­te ab, auch noch an Humes Sterbebett.

Es ist das Theo­di­zee­pro­blem, das die Prin­zi­pi­en des Deis­mus fun­da­men­tal infra­ge stellt. Hume hat­te die ent­schei­den­den kri­ti­schen Argu­men­te bereits vor­ge­bracht – und Hans Albert wür­de, davon bin ich über­zeugt, nicht dem Smit­h­schen Deis­mus, son­dern der Hume­schen Kri­tik dar­an voll­in­halt­lich zustim­men, ergänzt durch den Hin­weis auf Dar­wins Evo­lu­ti­ons­theo­rie, der zufol­ge die Ord­nung in der Natur ganz anders, näm­lich durch Anpas­sung erklärt wer­den könne.

Smit­hs For­scher­geist war im ruhi­gen, wenn auch etwas seich­ten Was­ser des Deis­mus vor Anker gegan­gen, wo kei­ne kal­ten Strö­mun­gen aus der Tie­fe die Ober­flä­che errei­chen konn­ten. Er hielt an einer Letzt­be­grün­dung in Form einer zweck­be­stimm­ten, von einem wohl­wol­len­den Gott geschaf­fe­nen Ord­nung fest. In die­sem Punkt ent­schied sich der gro­ße Auf­klä­rer gegen die Ein­sich­ten der Ver­nunft. Smith über­wand sei­ne Ängs­te vor einem „vater­lo­sen Kos­mos“, indem er – trotz aller Guck­käs­ten des Uner­träg­li­chen und der Fül­le resi­gnier­ten Elends – es sich in einer meta­phy­si­schen Hän­ge­mat­te bequem machte.


Wor­über wür­den Sie sich ger­ne mit Smith unter­hal­ten, wenn er heu­te noch leben würde? 

Ich hät­te Scheu, ihn direkt dazu zu befra­gen, ver­such­te aber, Smith in ein Gespräch zu ver­wi­ckeln, um mehr zu erfah­ren über sei­ne Groß­zü­gig­keit und sei­ne aus­ge­präg­te empa­thi­sche Fähig­keit, an der emo­tio­na­len Situa­ti­on ande­rer teil­zu­ha­ben. Der Begrün­der der Wirt­schafts­wis­sen­schaft hat­te, wie schon erwähnt, einen Groß­teil sei­nes Ver­mö­gens an Arme ver­schenkt, wes­halb bei sei­nem Begräb­nis im Juli 1790 Men­schen zu sehen waren, die übli­cher­wei­se einem Uni­ver­si­täts­pro­fes­sor nicht die letz­te Ehre erweisen.

Sodann inter­es­sier­te mich sei­ne Mei­nung zur größ­ten Kri­se unse­rer Tage, viel­leicht der Mensch­heit über­haupt – also zum Kli­ma­wan­del. Smith wäre gewiss offen für die­se Fra­ge und kei­nes­wegs über­rascht, dass die Unsicht­ba­re Hand des Mark­tes gele­gent­lich an Arthri­tis lei­det und schreck­lich dane­ben­greift. Denn zum einen hat­te er im Zusam­men­hang mit der Arbeits­tei­lung selbst beob­ach­tet, dass die exzes­si­ve Tei­lung der Arbeit zur geis­ti­gen Ver­küm­me­rung der Arbei­ten­den führt – und auf­grund die­ser Tat­sa­che gefor­dert, dass der Staat durch Bil­dung ein­grei­fen müs­se, um die­se nega­ti­ven und demo­kra­tie­be­dro­hen­den Kon­se­quen­zen abzu­mil­dern. Heu­te sind es öko­lo­gi­sche Kri­sen, die sich – von Men­schen unbe­ab­sich­tigt – aus dem Markt­ge­sche­hen erge­ben haben. Zum ande­ren ver­trat Smith als Deist einen sehr posi­ti­ven Natur­be­griff, sol­len sich doch in der Natur die Gedan­ken Got­tes spie­geln. Sei­ner Mei­nung nach wäre es daher drin­gend gebo­ten, Got­tes Schöp­fung zu bewahren.


Wel­che kon­kre­ten Ant­wor­ten wür­de Smith hier­zu vorschlagen?

Wahr­schein­lich ver­wie­se er zunächst auf den inno­va­ti­ven mensch­li­chen Geist, der im Zusam­men­hang mit den Mecha­nis­men des Mark­tes man­ches öko­lo­gi­sche Pro­blem lösen wer­de. Aber soll­te dies nicht genü­gen, müss­te – so der Moral­phi­lo­soph Smith – die Indus­trie schrump­fen. Den nahe­lie­gen­den Ein­wand und die exis­ten­ti­el­le Befürch­tung, dass dann Hun­ger und Ver­elen­dung droh­ten, begeg­ne­te er wahr­schein­lich mit dem Argu­ment, dass in den 70er Jah­ren die Indus­trie nur halb so groß war wie heu­te und wür­de rhe­to­risch fra­gen, ob es uns damals so viel schlech­ter ergan­gen sei.

Auf die Fra­ge, war­um öko­lo­gi­sche Pro­ble­me im Wealth of Nati­ons kei­ne Rol­le spie­len, wür­de Smith ver­mut­lich erwi­dern, dass es damals vor dem Hin­ter­grund gro­ßer Not um das Pro­blem gegan­gen sei, wie mehr Waren und die­se bil­li­ger pro­du­ziert wer­den könn­ten. Aber heu­te gin­ge es um etwas ganz ande­res, näm­lich um die Über­le­bens­fra­ge, wie wir mit weni­ger bes­ser leben, und es bestün­de die Not­wen­dig­keit, ehest­mög­lich nur noch das zu pro­du­zie­ren, was wie­der­ver­wer­tet wer­den könne.

Auf die wie­der­hol­te kri­ti­sche Fra­ge, ob dies nicht gänz­lich uto­pisch sei, da ein sol­cher Umbau der Gesell­schaft einen all­ge­mei­nen gro­ßen finan­zi­el­len Ver­lust bedeu­te, wür­de der Moral­phi­lo­soph ver­mut­lich ant­wor­ten, dass die Grund­be­dürf­nis­se aller – bei rich­ti­ger Ver­tei­lung – ohne­dies gedeckt sei­en und dass es im Grun­de auch heu­te nicht um Reich­tum, son­dern um das Wohl­erge­hen der Men­schen gehe, um den Wohl­stand der Natio­nen. Um das zu ver­ste­hen und wirk­lich ernst zu neh­men, sei­en die Ein­sich­ten der stoi­schen Phi­lo­so­phie beson­ders wich­tig – wie auch das Bewusst­wer­den der Tat­sa­che, dass vie­le der bes­ten Din­ge im Leben ohne­hin umsonst seien.