IMPULS

David Hume über Religionen

Prof. Dr. Ger­hard Ster­min­ger // 04. Juni 2024

David Hume gilt gemein­hin als einer der größ­ten Phi­lo­so­phen, die je gelebt hat­ten, und bei vie­len Gelehr­ten als authen­tischs­te Stim­me der Auf­klä­rung. So war es Hume, der bei­spiels­wei­se Imma­nu­el Kant — wie die­ser selbst bezeugt – aus dem “dog­ma­ti­schen Schlum­mer” geweckt und des­sen Unter­su­chun­gen “im Fel­de der spe­ku­la­ti­ven Phi­lo­so­phie eine ganz ande­re Rich­tung” gege­ben hatte.

In der Epo­che der Auf­klä­rung wur­den die tra­di­tio­nel­len Wer­te, Kon­ven­tio­nen und Insti­tu­tio­nen hin­sicht­lich ihrer Legi­ti­ma­ti­on radi­kal infra­ge gestellt und – als Alter­na­ti­ve zu Unbe­grün­de­tem – die meis­ten Fun­da­men­te der Moder­ne gelegt. Vor allem Humes Kri­tik an reli­giö­sen Dog­men mach­te ihn schon zu Leb­zei­ten bekannt und berüch­tigt; und auch heu­te noch ist sei­ne Reli­gi­ons­kri­tik für vie­le Bekräf­ti­gung oder Herausforderung.

Hume wur­de im Mai des Jah­res 1711 in Edin­burgh gebo­ren und als Kind gewis­sen­haft in den Leh­ren des Cal­vi­nis­mus, jener extre­men Form des Pro­tes­tan­tis­mus, unter­rich­tet. Mit etwa acht­zehn Jah­ren befrei­te er sich von der geist­li­chen Umklam­me­rung und wand­te sich dem phi­lo­so­phi­schen Stoi­zis­mus zu. Nach den ver­geb­li­chen Ver­su­chen, ein Leben in Ein­klang mit den Maxi­men des Cal­vi­nis­mus zu füh­ren, woll­te sich Hume gegen die Schat­ten­sei­ten des Lebens mit dem stoi­schen Ide­al der Uner­schüt­ter­lich­keit wappnen.

Aber bei­de Ver­su­che, sich an Denk­ge­bäu­de zu klam­mern, die im Grun­de lebens­feind­lich waren, erwie­sen sich als kata­stro­phal. Denn fast ein hal­bes Jahr­zehnt litt Hume unter schwe­ren psy­cho­so­ma­ti­schen Stö­run­gen. Aber als Drei­und­zwan­zig­jäh­ri­ger lös­te er sich end­gül­tig von die­sen Fes­seln dank der Erkennt­nis, dass die Pro­ble­me gar nicht bei ihm lagen. Viel­mehr sei­en die cal­vi­nis­ti­sche Dok­trin von der völ­li­gen Ver­derbt­heit der Men­schen­na­tur sowie die stoi­sche For­de­rung nach stän­di­ger Beherr­schung der Affek­te nichts als Leh­ren, die der mensch­li­chen Natur Gewalt antun.

In dem 1742 ver­öf­fent­lich­ten Essay “Der Epi­ku­re­er”, der deut­lich auto­bio­gra­phisch gefärbt ist, macht sich der anti­ke Phi­lo­soph lus­tig über die Ver­su­che gestren­ger Den­ker, “ein künst­li­ches Glück” schaf­fen und Men­schen durch strik­te Regeln in einen Zustand des Wohl­be­fin­dens ver­set­zen zu wollen.

Gegen die­se Leh­ren ver­tei­digt sich der Epi­ku­re­er unter Beru­fung auf die “Weis­heit der Natur”. War­um, so fragt er sich, “soll­te ich jene Trieb­fe­dern und Grund­kräf­te, die die Natur mir ein­ge­pflanzt hat”, zu unter­drü­cken suchen? Soll­te dies “der Weg zum Glück sein? Aber Glück heißt doch Behag­lich­keit, Zufrie­den­heit, Ruhe und Lust – und nicht ängst­li­che Acht­sam­keit, Besorg­nis und Strapaze.”

Auf­grund sei­ner Reli­gi­ons­kri­tik schei­ter­ten Humes Bewer­bun­gen um einen Lehr­stuhl an einer Uni­ver­si­tät. Haupt­grund für den kle­ri­ka­len Wider­stand war die Tat­sa­che, dass Hume im drit­ten Buch sei­nes Jugend­wer­kes, des Trak­tats über die mensch­li­che Natur, eine rein dies­seits­ori­en­tier­te Ethik ent­wor­fen hat­te. Gött­li­che Gebo­te oder jen­sei­ti­ge Beloh­nun­gen und Bestra­fun­gen als Moti­ve mora­li­schen Han­delns spie­len kei­ne Rol­le. Hume zufol­ge bedarf es die­ser höchst pro­ble­ma­ti­schen meta­phy­si­schen Annah­men auch gar nicht. Denn ver­nünf­ti­ge Men­schen sind moti­viert, ohne Hoff­nung auf ein Para­dies und ohne Furcht vor der Höl­le ein tugend­haf­tes Leben zu füh­ren. Denn ein sol­ches trägt sei­nen Lohn, und zwar beson­de­re Glücks­ge­füh­le als unbe­ab­sich­tig­te Fol­ge mora­li­schen Han­delns, in sich.

Kritik an Offenbarungsreligionen

Im Jahr 1748 ver­öf­fent­lich­te Hume die “Unter­su­chung über den mensch­li­chen Ver­stand”. Der zehn­te Abschnitt, beti­telt: “Über Wun­der”, ent­hält jene Über­le­gun­gen, die von allen Ideen Humes wohl die meis­ten Reso­nan­zen aus­lös­ten. Die­ses enor­me Inter­es­se ist durch­aus ver­ständ­lich, denn die Wun­der­ana­ly­se ist eine fun­da­men­ta­le Kri­tik aller Offenbarungsreligionen.

Hume behaup­tet näm­lich, dass der Glau­be an ein von ande­ren bezeug­tes Wun­der nie­mals gut begrün­det sein kön­ne und ent­wi­ckelt fol­gen­des Ver­nunft­prin­zip: “Der Glau­be an die Exis­tenz eines der tra­di­tio­nel­len Wun­der ist ver­nünf­tig genau dann, wenn die Glaub­wür­dig­keit der Zeu­gen grö­ßer als die Wahr­schein­lich­keit des bezeug­ten Ereig­nis­ses ist.”

Nun wider­spricht das angeb­li­che Wun­der­ereig­nis – wie ja auch von Gläu­bi­gen betont – einer bekann­ten Gesetz­mä­ßig­keit. Die Behaup­tung etwa, dass vor 2000 Jah­ren ein jüdi­scher Wan­der­pre­di­ger von den Toten wie­der­auf­er­stand, ist nur des­halb ein wun­der­ba­res Ereig­nis, weil alle Men­schen sterb­lich sind.

Aber da das Wun­der­ereig­nis, von dem berich­tet wird, einer Gesetz­mä­ßig­keit wider­spricht, ist die Wahr­schein­lich­keit, dass es wahr ist, äußerst gering. Somit muss die Glaub­wür­dig­keit der Zeu­gen extrem wahr­schein­lich, also selbst eine Gesetz­mä­ßig­keit sein, soll der Glau­be an das Wun­der den­noch ver­nünf­tig sein.

Aber Zeu­gen lügen manch­mal, wol­len also ande­re täu­schen, gele­gent­lich irren sie, sind also selbst Opfer kogni­ti­ver Fehl­schlüs­se oder des Betrugs ande­rer. Mit­un­ter sind es schlicht­weg Eitel­keit und Macht­wil­le, die Men­schen moti­vie­ren, ein Wun­der zu ver­kün­den: “Wel­che grö­ße­re Ver­su­chung … gibt es, als für einen Beauf­trag­ten, einen Pro­phe­ten und Send­bo­ten des Him­mels gehal­ten zu werden?”

Da die Glaub­wür­dig­keit von Zeu­gen somit kei­ne Gesetz­mä­ßig­keit ist, ist der Glau­be an eines der tra­di­tio­nel­len Wun­der — und alle Offen­ba­rungs­re­li­gio­nen basie­ren auf sol­chen – unver­nünf­tig. Der reli­giö­se Glau­be basiert auf kei­nen ratio­na­len Argu­men­ten, son­dern auf nicht-ratio­na­len Beweg­grün­den. So ist der Affekt “der Über­ra­schung und des Stau­nens, den ein Wun­der her­vor­ruft”, eine “ange­neh­me Gemütserregung”.

Drei­zehn Jah­re nach der Ver­öf­fent­li­chung der Wun­der­ana­ly­se kamen alle Arbei­ten Humes auf den katho­li­schen Index der ver­bo­te­nen Bücher. Wenn heut­zu­ta­ge die Reli­gio­nen Wun­der­be­rich­te eher schüt­zen müs­sen als dass die­se die Reli­gio­nen stüt­zen könn­ten, so ist dies vor­nehm­lich Humes Ein­fluss geschuldet.

Kritik an der natürlichen Religion

Seit den 1750er Jah­ren hat­te sich Hume neben der Kri­tik an Offen­ba­rungs­re­li­gio­nen auch mit der natür­li­chen Reli­gi­on beschäf­tigt, der Reli­gi­on vie­ler Auf­klä­rer. Ohne Offen­ba­rung, son­dern allein mit­hil­fe unse­rer natür­li­chen Fähig­kei­ten — Sin­nes­er­fah­rung und Ver­stand – sol­len Men­schen imstan­de sein zu erken­nen, dass die Ord­nung des Uni­ver­sums das Ergeb­nis des Plans einer güti­gen und wei­sen Gott­heit ist.

Seit New­tons Natur­phi­lo­so­phie fand die­ser Got­tes­be­weis gro­ße Beach­tung. So waren alle auf­ge­klär­ten schot­ti­schen Freun­de Humes, allen vor­an Adam Smith, Anhän­ger die­ses design argu­ment.

Aber Hume blieb skep­tisch und schrieb die “Dia­lo­ge über natür­li­che Reli­gi­on”, viel­leicht das Meis­ter­werk der Auf­klä­rung. Zumin­dest an zwei zen­tra­len Punk­ten hin­ter­fragt Phi­lo, der Phi­lo­soph, die the­is­ti­sche Behaup­tung einer geplan­ten Schöp­fung durch einen güti­gen Gott.

Zum einen könn­te die Ord­nung, so Phi­lo, auch ganz anders ent­stan­den sein, näm­lich durch Anpas­sung von Mate­rie. Jahr­zehn­te vor Charles Dar­win fragt er sei­ne Gesprächs­part­ner: Fin­den wir nicht, dass ein Lebe­we­sen “sogleich stirbt, wenn die­se Anpas­sung auf­hört” und dass die aus­ein­an­der­fal­len­de Mate­rie “irgend­ei­ne neue Form erprobt? … Und kann man nicht auf die­se Wei­se den Anschein von Weis­heit und Pla­nung … erklären?”

Zum ande­ren ist es das Pro­blem der Theo­di­zee, das die Annah­me der Exis­tenz eines güti­gen Schöp­fer­got­tes als äußerst unwahr­schein­lich erschei­nen lässt. Die sei­ten­lan­ge Dar­stel­lung der Übel die­ser Welt in Abschnitt 10 ist so detail­liert und anschau­lich, dass die Ver­mu­tung nahe­liegt, der Autor fühl­te sich von der Fül­le an Nega­ti­vem zutiefst betrof­fen. Hume emp­fand die­se Quan­ti­tät an Leid und Schmerz offen­bar nicht als ein zu ertra­gen­des Schick­sal, son­dern – wie alle Auf­klä­rer — als einen Skan­dal und als Zumu­tung, die es zu lin­dern gilt.

Hume lässt die Lesen­den schmerz­haft lan­ge durch den Guck­kas­ten des Uner­träg­li­chen schau­en, und die­se sehen Kum­mer, Trüb­sinn, Krieg, Not, Hun­ger, Ent­beh­rung, Furcht, Natur­ka­ta­stro­phen, Angst und Schre­cken. Der Geburts­vor­gang ist qual­voll, Ohn­macht und Schmerz beglei­ten jeden Abschnitt des Lebens, das im Todes­kampf endet. Ver­ach­tung, Schmach, Gewalt­an­wen­dung, Auf­ruhr, Ver­leum­dung, Ver­rat, Betrug – alles das ist Teil des Daseins.

Zwar kann der Mensch “durch Zusam­men­schluss alle sei­ne wirk­li­chen Fein­de über­win­den … Aber baut er sich nicht als­bald ein­ge­bil­de­te Fein­de auf, Dämo­nen sei­ner Phan­ta­sie, die ihm aber­gläu­bi­schen Schre­cken ein­ja­gen und jede Freu­de am Leben zer­stö­ren? Was ihm Ver­gnü­gen berei­tet, so bil­det er sich ein, wird in ihren Augen zum Verbrechen.”

Schließ­lich über­legt sich Phi­lo, was die meis­ten Men­schen auf die Fra­ge, ob sie ihr Leben noch­mals durch­le­ben möch­ten, ant­wor­te­ten. Die meis­ten, so meint er, woll­ten die letz­ten zwan­zig Jah­re nicht noch­mals erle­ben. Aber die kom­men­den zwan­zig, so ihre Hoff­nung, wer­den bes­ser wer­den, wird es also mehr Freu­de und Wohl­erge­hen geben.

Aus der Fül­le an Nega­ti­vem im angeb­li­chen Werk Got­tes fol­gert Phi­lo, dass die behaup­te­ten mora­li­schen Eigen­schaf­ten des Schöp­fers, sei­ne Güte, Barm­her­zig­keit und Recht­schaf­fen­heit, mit den Welt­übeln nicht ver­ein­bar sind. Somit hal­ten auch Ver­tre­ter der natür­li­chen Reli­gi­on Unver­nünf­ti­ges für wahr.

“Aber Got­tes Wege sind eben uner­forsch­lich”, wer­den vie­le Gläu­bi­ge auf Humes Kri­tik sogleich zu erwi­dern geneigt sein. Die­se Gebets­müh­le plau­dert aller­dings nur die Wahr­heit aus, dass der angeb­lich All­gü­ti­ge und Gerech­te Din­ge schafft oder zulässt, die mora­li­sche Men­schen nie­mals schaf­fen oder zulas­sen würden.

Resümee

Zu der Unbe­grün­det­heit des Glau­bens an Wun­der und der Unbe­grün­det­heit des Glau­bens an die Exis­tenz eines lie­ben Got­tes gesellt sich noch das Pro­blem, dass vie­le For­men von Reli­gio­si­tät eine Gefahr für Mora­li­tät dar­stel­len. Ein Grund lau­tet, dass bereits “die stän­di­ge Rück­sicht­nah­me auf ein der­art wich­ti­ges Inter­es­se wie das des ewi­gen See­len­heils” geeig­net ist, “die wohl­wol­len­den Gefühls­re­gun­gen zu ersti­cken und einen eng­her­zi­gen, beschränk­ten Ego­is­mus zu erzeu­gen.” Reli­giö­se Jen­seits­ori­en­tie­rung ver­mag Men­schen, auch wenn sie von Natur aus mit Mit­ge­fühl begabt sind, selbst­süch­tig und selbst­zen­triert zu machen.

Aus allen die­sen Grün­den fällt Hume im Schluss­ka­pi­tel der 1757 ver­öf­fent­lich­ten Natur­ge­schich­te der Reli­gi­on ein ver­nich­ten­des Urteil: Wenn man “die reli­giö­sen Prin­zi­pi­en unter­sucht, die tat­säch­lich in der Welt geherrscht haben, so wird man kaum zu der Über­zeu­gung gelan­gen, dass sie etwas ande­res als die Träu­me kran­ker Men­schen sind.”

Im August 1776 starb Hume ohne die angeb­li­chen Trös­tun­gen der Reli­gi­on den Tod eines Phi­lo­so­phen. Als der Sarg aus dem Haus getra­gen wur­de, schrie einer: “Er war ein Athe­ist!”, wor­auf­hin ein ande­rer erwi­der­te: “Macht nichts. Er war ein guter Mensch.” Humes letz­ten Weg beglei­te­ten vie­le Bewoh­ner der Stadt. Eine Woche lang bewach­ten Freun­de nachts das fri­sche Grab, da sie vom christ­li­chen Mob eine Schän­dung des Leich­nams befürchteten.

 

Ger­hard Stre­min­ger
David Hume
Der Phi­lo­soph und sein Zeit­al­ter
2., über­ar­bei­te­te Auf­la­ge, 2017, 797 S.

“Stre­min­gers Hume ist dem Leser nah und leben­dig. Stre­min­ger brennt für Hume, und der Fun­ke springt über.”

Robin Droe­mer
Hohe Luft