07. Mai 2020

Stellungnahme

Patientenautonomie in der Krise

„Nicht die bedin­gungs­lo­se Ret­tung oder Ver­län­ge­rung von Leben soll­te das vor­ran­gi­ge Ziel des ärzt­li­chen Han­delns sein. Viel­mehr gilt es, eine medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung zu gewähr­leis­ten, die dem Wil­len der Pati­en­ten ent­spricht und zu ihrem Wohl bei­trägt.“ Dies geht aus einer heu­te ver­öf­fent­lich­ten Emp­feh­lung des Hans-Albert-Insti­tuts (HAI) her­vor, die sich mit den medi­zi­nethi­schen Kon­se­quen­zen der Coro­na-Pan­de­mie beschäf­tigt.

Vor allem älte­re Men­schen soll­ten sich „mit der Fra­ge aus­ein­an­der­set­zen, ob und wie sie im Fal­le einer aku­ten Ver­schlech­te­rung des Gesund­heits­zu­stan­des behan­delt wer­den möch­ten“, rät das Insti­tut. Aller­dings set­ze eine selbst­be­stimm­te Ent­schei­dung für oder gegen eine medi­zi­ni­sche Maß­nah­me ein ent­spre­chen­des Wis­sen über die Chan­cen und Risi­ken vor­aus. Dies betref­fe in der aktu­el­len Coro­na-Kri­se ins­be­son­de­re die Fra­ge der Nütz­lich­keit und Ange­mes­sen­heit einer inten­siv­me­di­zi­ni­schen Behandlung.

Das Hans-Albert-Insti­tut weist in die­sem Zusam­men­hang auf empi­ri­sche Stu­di­en hin, denen zufol­ge nur etwa 10 bis 30 Pro­zent eine inva­si­ve Beatmung infol­ge einer schwe­ren Covid-19-Erkran­kung über­leb­ten. Gera­de bei älte­ren Pati­en­ten müs­se man die Über­le­bens­chan­cen als „erschre­ckend gering“ ein­stu­fen. So sei­en in New York 97,2 Pro­zent der Über-65-Jäh­ri­gen gestor­ben, die inva­siv beatmet wor­den waren. Auf­grund sol­cher Erfah­run­gen wür­den Lun­gen­fach­ärz­te nun ver­mehrt dazu raten, vor dem Über­gang zu einer inva­si­ven Beatmung die gesam­te Palet­te der zur Ver­fü­gung ste­hen­den nicht-inva­si­ven Behand­lungs­me­tho­den aus­zu­schöp­fen, um wei­te­re Lun­gen­schä­den zu ver­mei­den und die Über­le­bens­chan­cen der Pati­en­ten mög­li­cher­wei­se zu erhöhen.

Plädoyer für eine kritisch-rationale Medizin

Deut­li­che Kri­tik äußer­te das Insti­tut in die­sem Punkt an der Deut­schen Gesell­schaft für Anäs­the­sio­lo­gie und Inten­siv­me­di­zin, die auf die Fra­ge, wie hoch in Deutsch­land der Pro­zent­satz der nach einer Intu­ba­ti­on ver­stor­be­nen Pati­en­ten sei, mit­teil­te, dies sei “völ­lig irrele­vant, da nicht die Intu­ba­ti­on als sol­che bedeut­sam ist, son­dern die Schwe­re der Erkran­kung des Pati­en­ten, die zu der Erfor­der­nis einer Intu­ba­ti­on und Beatmung geführt hat”. Dem hält das Hans-Albert-Insti­tut ent­ge­gen, dass es sehr wohl ent­schei­dend sei, „in Erfah­rung zu brin­gen, wie vie­le Pati­en­ten von einer inva­si­ven Beatmung pro­fi­tie­ren konn­ten und wel­che Fak­to­ren dafür von Bedeu­tung waren“: „Erst dann lässt sich der Nut­zen einer The­ra­pie und damit auch ihre indi­vi­du­el­le Zumut­bar­keit fak­ten­ba­siert beur­tei­len. Soll­te sich her­aus­stel­len, dass ande­re Behand­lungs­me­tho­den zu bes­se­ren Ergeb­nis­sen füh­ren, sind sie einer inva­si­ven Beatmung vor­zu­zie­hen. Eine Kor­rek­tur des bis­he­ri­gen Han­delns erst gar nicht zu erwä­gen, gefähr­det dage­gen das Patientenwohl.“

Die von Juris­ten, Medi­zi­nern und Phi­lo­so­phen des Hans-Albert-Insti­tuts ver­fass­te Stel­lung­nah­me endet mit einem kur­zen Plä­doy­er für eine „kri­tisch-ratio­na­le Medi­zin“, wel­che „ihre Behand­lungs­pra­xis fort­lau­fend hin­ter­fragt und ver­bes­sert“. Dies erfor­de­re „nicht nur die Fähig­keit, bestehen­de Unge­wiss­hei­ten in der der­zei­ti­gen Pan­de­mie trans­pa­rent zu benen­nen, son­dern auch die Offen­heit für alter­na­ti­ve Pro­blem­lö­sun­gen“: „Schließ­lich liegt die Stär­ke der Wis­sen­schaft vor allem in der Bereit­schaft, aus ihren Feh­lern zu lernen.“

Den voll­stän­di­gen Text der HAI-Stel­lung­nah­me fin­den Sie hier:

DIESE MELDUNG TEILEN