2. Novem­ber 2021

Gastbeitrag im Buch “Deutschland in Coronazeiten” 

»Sind wir auf die kommende Katastrophe vorbereitet?« 

Die Phi­lo­so­phen Flo­ri­an Che­fai (HAI-Direk­to­ri­um) und Adria­no Man­ni­no (HAI-Bei­rat) haben zum neu­en Buch “Deutsch­land in Coro­na­zei­ten” einen Gast­bei­trag bei­gesteu­ert. Dar­in beschäf­ti­gen sie sich mit der Fra­ge, wel­che Leh­ren wir aus der Kri­se zie­hen soll­ten, um kom­men­de Kata­stro­phen abzuwenden. 

Das über 400 Sei­ten umfas­sen­de Buch beginnt mit dem Leit­mo­tiv des Bun­des­prä­si­den­ten Frank-Wal­ter Stein­mei­er. Gruß­wor­te schrie­ben die Jour­na­lis­tin und stell­ver­tre­ten­den Lei­te­rin des ZDF Haupt­stadt­stu­di­os Shak­un­ta­la Baner­jee, der Vor­sit­zen­de der Evan­ge­li­schen Kir­che Deutsch­land Prof. Hein­rich Bed­ford-Strohm und der ehe­ma­li­ge Prä­si­dent des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts Prof. Andre­as Voß­kuh­le. Gast­bei­trä­ge von Exper­tin­nen und Exper­ten aus der Medi­zin und der Phi­lo­so­phie schlie­ßen das Entrée ab.

Mit 129 geführ­ten Inter­views zeich­net das Buch ein viel­fäl­ti­ges Bild von Men­schen quer durch die Repu­blik. Die gemein­sa­men Her­aus­ge­ber Nico­la Wal­ter und Gud­run Jae­ger haben die Betei­lig­ten nach detail­lier­ter Recher­che über­wie­gend vor Ort, aber auch ver­ein­zelt per Video­kon­fe­renz inter­viewt. Hier­durch ist es gelun­gen, ein viel­schich­ti­ges und aus­sa­ge­kräf­ti­ges Stück Zeit­ge­schich­te zu erschaffen.

Sind wir auf die kommende Katastrophe vorbereitet?

Ende 2019 wur­de in der chi­ne­si­schen Metro­po­le Wuhan der ers­te Covid-Fall fest­ge­stellt. Als die Krank­heit am 11. März 2020 von der World Health Orga­ni­sa­ti­on (WHO) offi­zi­ell zu einer Pan­de­mie erklärt wur­de, gab es bereits mehr als 118.000 regis­trier­te Fäl­le und 4.291 Tote in 114 Län­dern. Nur weni­ge hat­ten die Bedro­hung durch das Coro­na­vi­rus recht­zei­tig erkannt und die rich­ti­gen Schlüs­se gezo­gen. Statt auf die frü­hen War­nun­gen der ost­asia­ti­schen Exper­ten­ge­mein­schaft zu hören, wähn­te man sich auch hier­zu­lan­de in fal­scher Sicher­heit und ließ wert­vol­le Zeit ver­strei­chen. Selbst als in Ita­li­en der Kata­stro­phen­fall ein­trat, woll­te man den Ernst der Lage in Deutsch­land noch nicht wahr­ha­ben. Ita­lie­ni­sche Füh­rungs­kräf­te und Jour­na­lis­ten hat­ten tage­lang ver­zwei­felt ver­sucht, die deut­sche Öffent­lich­keit wach­zu­rüt­teln. Ver­geb­lich: Es ver­stri­chen meh­re­re Tage, bis die erschüt­tern­den Tria­ge-Berich­te ita­lie­ni­scher Inten­siv­me­di­zi­ner zur Kennt­nis genom­men wur­den. Erst als Sär­ge mit Coro­na-Toten in der nord­ita­lie­ni­schen Stadt Ber­ga­mo von Mili­tär­last­wa­gen abtrans­por­tiert wer­den muss­ten, kam die Gefahr im Bewusst­sein der deut­schen Gesell­schaft an. Der emo­tio­na­len Bild­ge­walt der Lei­chen­trans­por­te konn­te man sich – im Gegen­satz zu den ratio­na­len Mah­nun­gen – nicht mehr ohne Wei­te­res entziehen.

Die tra­gi­sche Fall­stu­die Nord­ita­li­ens, die eine Zäsur in der Coro­na-Kri­se mar­kier­te, wäre nicht not­wen­dig gewe­sen. Dass die Pan­de­mie auch für euro­päi­sche Staa­ten eine rea­le Gefahr dar­stellt, hät­te bereits klar sein müs­sen, als das Gesund­heits­sys­tem Wuhans im Janu­ar 2020 kol­la­bier­te und die Pro­vinz Hub­ei mili­tä­risch abge­rie­gelt wur­de. Man wuss­te, dass die Welt inzwi­schen so ver­netzt war, dass ein Virus bin­nen weni­ger Stun­den um die gan­ze Welt rei­sen kann. Die Ent­schei­dungs­trä­ger hät­ten daher zumin­dest den Flug­ver­kehr aus Chi­na stop­pen und sich sofort um den Mas­ken­vor­rat küm­mern sol­len. Schon vor Jah­ren wäre es sinn­voll gewe­sen, Tra­cing-Apps zu ent­wi­ckeln und kon­kre­te Stra­te­gien zum Hoch­fah­ren der Test­ka­pa­zi­tä­ten und der Impf­stoff­pro­duk­ti­on fest­zu­le­gen. Wäh­rend in west­li­chen Län­dern lan­ge ver­harm­lost wur­de – das RKI ver­glich das neue Coro­na­vi­rus mit der sai­so­na­len Grip­pe –, haben ost­asia­ti­sche Demo­kra­tien wie Süd­ko­rea oder Tai­wan sofort ein effek­ti­ves Maß­nah­men­pa­ket umge­setzt. Es ist daher kein Zufall, dass die­se Staa­ten nicht nur um Grö­ßen­ord­nun­gen weni­ger Krank­heits­fäl­le und Todes­op­fer ver­zeich­nen, son­dern auch wesent­lich gerin­ge­re Lock­down-Bür­den tra­gen muss­ten. Durch vor­aus­schau­en­des und ent­schlos­se­nes Han­deln ist es ihnen gelun­gen, die Gesell­schaft vor mas­si­ven gesund­heit­li­chen und sozio­öko­no­mi­schen Schä­den zu bewah­ren. Die Prä­ven­ti­on und das Kri­sen­ma­nage­ment west­li­cher Staa­ten waren dage­gen von Ver­säum­nis­sen und Zöger­lich­keit geprägt. Die Kon­trol­le über das Infek­ti­ons­ge­sche­hen hat man damit schon ex ante fahr­läs­sig aus der Hand gege­ben und muss­te sich spä­ter not­ge­drun­gen um Scha­dens­be­gren­zung bemühen.

Beson­ders die Impf­po­li­tik zeich­ne­te sich durch eine erschre­cken­de Träg­heit aus. Das gesam­te Kri­sen­ma­nage­ment war dar­auf aus­ge­legt, die Bevöl­ke­rung hin­rei­chend schnell zu imp­fen. Andern­falls hät­te der Ver­such, das Virus mit ein­schnei­den­den Maß­nah­men ein­zu­däm­men (statt die Kur­ve bloß “abzu­fla­chen”), stra­te­gisch kei­nen Sinn erge­ben. Aus die­sem Grund hät­te eine ver­nünf­ti­ge, vor­aus­schau­en­de Impf­po­li­tik ab Früh­jahr 2020 sofort dafür gesorgt, dass die Pro­duk­ti­ons­ka­pa­zi­tä­ten für alle poten­zi­ell erfolg­rei­chen Impf­stoff­ty­pen mas­siv aus­ge­baut wer­den – auf Vor­rat und weit über den tat­säch­li­chen Bedarf hin­aus, um auf Num­mer sicher zu gehen. Wir konn­ten uns das Risi­ko schlicht nicht leis­ten, nach der Zulas­sung von Impf­stof­fen mona­te­lang auf die Pro­duk­ti­ons­ka­pa­zi­tä­ten zu war­ten. Doch genau das ist gesche­hen – und lei­der haben wir noch immer nicht begrif­fen, dass wir die Impf­stoff­pro­duk­ti­on um Grö­ßen­ord­nun­gen hoch­fah­ren müs­sen. In Afri­ka und auf ande­ren Erd­tei­len sind noch kaum Impf­stof­fe ver­füg­bar, was die Ent­ste­hung neu­er Virus­va­ri­an­ten stark begüns­tigt. Um zu ver­hin­dern, dass die Vari­an­ten den Impf­schutz durch­bre­chen wer­den, müs­sen die rei­chen Staa­ten den Glo­bus schleu­nigst mit Impf­stof­fen ver­sor­gen. Stu­di­en legen nahe, dass uns jeder in die glo­ba­le Impf­ver­sor­gung inves­tier­te Euro mehr als hun­dert Euro ein­spa­ren könn­te, die uns spä­ter an Schä­den erwach­sen wer­den, falls in den ärme­ren Staa­ten eine Durch­seu­chung statt­fin­det. Unser Zögern ist stra­te­gisch und huma­ni­tär unverständlich.

Eine mas­si­ve För­de­rung der Impf­stoff­for­schung und ‑pro­duk­ti­on ist nicht zuletzt auch des­halb not­wen­dig, weil uns in Zukunft noch viel schlim­me­re Pan­de­mien dro­hen: Man stel­le sich vor, die gegen­wär­ti­ge Pan­de­mie hät­te 2020 mit der Del­ta-Vari­an­te ein­ge­setzt. Die Kata­stro­phe wäre per­fekt gewe­sen. Nun sind ins­be­son­de­re auf­grund von Labor­un­fäl­len oder bio­ter­ro­ris­ti­schen Akten aber noch viel gefähr­li­che­re Viren und Bak­te­ri­en denk­bar, die hun­der­te Mil­lio­nen Men­schen dahin­raf­fen könn­ten. Ein ent­spre­chen­des Pro­blem­be­wusst­sein ist gesell­schaft­lich noch kaum vor­han­den. Wir brau­chen ein Man­hat­tan-Pro­jekt der Impf­stoff­for­schung und ‑pro­duk­ti­on, damit wir mög­lichst fle­xi­bel auf Vari­an­ten des Coro­na­vi­rus oder neue Pan­de­mien reagie­ren kön­nen. Wis­sen­schaft­li­che Mahn­stim­men for­dern ein sol­ches Pro­jekt seit vie­len Jah­ren. Es war und ist ein risi­koethi­scher Feh­ler, sie zu igno­rie­ren. 

Zeit für eine neue Feh­ler­kul­tur
Was ler­nen wir aus all­dem? Die viel­leicht wich­tigs­te Leh­re, die wir aus der Kri­se zie­hen kön­nen, ist eng mit unse­rem Selbst­ver­ständ­nis und dem Umgang mit Unge­wiss­heit ver­bun­den. Sie liegt in der Ein­sicht in die prin­zi­pi­el­le Fehl­bar­keit unse­res Den­kens und Han­delns. Sich die eige­ne Fehl­bar­keit trans­pa­rent vor Augen zu füh­ren, ist alles ande­re als ein­fach. Schließ­lich fällt es nie­man­dem leicht, vor sich selbst oder ande­ren schwe­re Feh­ler ein­zu­ge­ste­hen. Wer offen einen Irr­tum zugibt, steht näm­lich schnell in Gefahr, an Glaub­wür­dig­keit ein­zu­bü­ßen und Ver­trau­en zu ver­spie­len. Dabei hät­te das ehr­li­che Ein­ge­ständ­nis eines Feh­lers eigent­lich Respekt und Aner­ken­nung ver­dient. Denn es zeugt von cha­rak­ter­li­cher Stär­ke und intel­lek­tu­el­ler Red­lich­keit, fal­sche Über­zeu­gun­gen und Hand­lun­gen zu kor­ri­gie­ren, statt sie wider bes­se­res Wis­sens zu kaschie­ren oder kleinzureden.

Eine kon­struk­ti­ve Feh­ler­kul­tur ist vor allem dann essen­ti­ell, wenn es dar­um geht, poli­ti­sche Ent­schei­dun­gen an Kata­stro­phen­ri­si­ken anzu­pas­sen, die unse­re Gesell­schaft bedro­hen. Selbst wenn wir davon über­zeugt sind, dass eine Kata­stro­phe nur mit gerin­ger Wahr­schein­lich­keit ein­tre­ten wird, müs­sen wir mit der Mög­lich­keit rech­nen, dass unse­re Pro­gno­se dane­ben liegt. Wir müs­sen uns daher fra­gen, ob wir die Fol­gen einer mög­li­chen Fehl­ein­schät­zung wirk­lich ver­ant­wor­ten kön­nen. Unser Umgang mit Feh­lern hat dem­nach auch eine ethi­sche Dimen­si­on. Die­se trat in der Coro­na­kri­se beson­ders deut­lich zum Vor­schein. So war ein früh­zei­ti­ger Shut­down schon des­halb die ein­zig rich­ti­ge Wahl, weil nur er eine rever­si­ble Stra­te­gie dar­stell­te. Hät­te man die Ver­brei­tung des Virus nicht hin­rei­chend schnell gebremst, wäre man Gefahr gelau­fen, sich unum­kehr­bar auf eine Durch­seu­chung fest­zu­le­gen. Ein Shut­down kann gelo­ckert und auf­ge­ho­ben wer­den, eine expo­nen­ti­el­le Durch­seu­chung mit einem Virus, um des­sen Krank­heits- und Todes­ra­te man damals noch nicht genau wuss­te, womög­lich nicht. Risi­koethisch war der Shut­down als rever­si­ble Stra­te­gie daher weit über­le­gen, da nur er es erlaub­te, mög­li­che Feh­ler zu kor­ri­gie­ren und unser Han­deln an einen neu­en Kennt­nis­stand anzu­pas­sen.
Eine sol­che kri­tisch-ratio­na­le Hal­tung, wel­che die Fehl­bar­keit unse­rer Ent­schei­dun­gen berück­sich­tigt, hät­te von Sei­ten der wis­sen­schaft­li­chen Exper­ten und der Poli­tik sehr viel deut­li­cher kom­mu­ni­ziert wer­den müs­sen. Dadurch wäre klar gewor­den, dass wir die Maß­nah­men nicht des­halb ergrei­fen, weil wir uns so sicher sind, son­dern gera­de, weil wir unter hoher Unsi­cher­heit und Zeit­druck ver­ant­wor­tungs­be­wuss­te Ent­schei­dun­gen fäl­len muss­ten. Womög­lich hät­te dies auch zu einer höhe­ren Akzep­tanz der Ein­däm­mungs­maß­nah­men in der Bevöl­ke­rung geführt.

Künf­ti­ge Kri­sen ver­mei­den
Unse­re zuneh­mend kom­ple­xe, ver­netz­te und tech­no­lo­gisch ange­trie­be­ne Welt ist anfäl­li­ger für kata­stro­pha­le Ereig­nis­se als je zuvor. Neu­ar­ti­ge glo­ba­le Risi­ken ent­ste­hen näm­lich ins­be­son­de­re dort, wo natür­li­che, sozio­öko­no­mi­sche und tech­no­lo­gi­sche Dyna­mi­ken in nie dage­we­se­ner Wei­se inein­an­der­grei­fen. Die Coro­na­kri­se hat ein­drück­lich gezeigt, dass wir auf plötz­lich ein­tre­ten­de Aus­nah­me­zu­stän­de kaum vor­be­rei­tet sind. Umso wich­ti­ger ist es, Kon­se­quen­zen aus die­ser Erfah­rung zu zie­hen und Kor­rek­tu­ren in unse­rem Kri­sen­ma­nage­ment vorzunehmen.

Nach­hol­be­darf besteht vor allem hin­sicht­lich der Kata­stro­phen­prä­ven­ti­on. So ist seit Lan­gem bekannt, dass Pan­de­mien ins­be­son­de­re aus der mensch­li­chen Tier­nut­zung her­vor­ge­hen. Laut WHO las­sen sich mehr als 70 Pro­zent der neu­ar­ti­gen Infek­ti­ons­krank­hei­ten beim Men­schen auf einen tier­li­chen Ursprung zurück­füh­ren. Die Häu­fig­keit epi­de­mi­scher Aus­brü­che nimmt seit der Mit­te des ver­gan­ge­nen Jahr­hun­derts kon­ti­nu­ier­lich zu – par­al­lel zur Zunah­me der Tier­nut­zung. Die Abschaf­fung der Mas­sen­tier­hal­tung und ein Ver­bot von Lebend- und Wild­tier­märk­ten (die in der west­li­chen Hemi­sphä­re genau­so anzu­tref­fen sind wie in der öst­li­chen) wären geeig­net, die Ursa­chen des Pan­de­mie­ri­si­kos zu bekämpfen.

Doch nicht nur Pan­de­mien wer­den in Zukunft wei­ter­hin eine Bedro­hung dar­stel­len, gegen die wir gewapp­net sein soll­ten. Auch ande­re Kata­stro­phen­ri­si­ken, die bei­spiels­wei­se von Cyber­an­grif­fen, der Künst­li­chen Intel­li­genz oder dem Zusam­men­bruch der Strom­ver­sor­gung aus­ge­hen, kon­fron­tie­ren unse­re Gesell­schaft mit einer rea­len Gefahr. In der brei­ten Öffent­lich­keit und Poli­tik wer­den vie­le die­ser Risi­ken lei­der noch kaum wahr­ge­nom­men, wes­halb die not­wen­di­gen Sicher­heits­ab­wä­gun­gen und ‑vor­keh­run­gen bis­lang nicht erfolgt sind. Nur wenn wir sol­che Ver­säum­nis­se sys­te­ma­tisch ver­mei­den, wer­den wir fähig sein, künf­ti­gen Kri­sen ange­mes­sen vorzubeugen.

Stel­len wir uns bei­spiel­haft vor, was ein län­ge­rer, flä­chen­de­cken­der Strom­aus­fall – ein soge­nann­ter Black­out – bedeu­ten wür­de. Die Fol­gen wären ver­hee­rend: Wich­ti­ge Ein­rich­tun­gen wie Kran­ken­häu­ser, Alten­hei­me, Lebens­mit­tel­märk­te, Tele­kom­mu­ni­ka­ti­ons­diens­te, Tank­stel­len, Gerich­te, Gefäng­nis­se, Stadt­wer­ke und Ver­wal­tungs­be­hör­den könn­ten zum Erlie­gen kom­men. Bereits nach weni­gen Tagen wäre die Grund­ver­sor­gung der Bevöl­ke­rung nicht mehr gewähr­leis­tet. Es droht dann ein Kol­laps des gesell­schaft­li­chen Lebens, da die gesam­te kri­ti­sche Infra­struk­tur von der Sta­bi­li­tät der Ener­gie­ver­sor­gung abhängt.

Das Ein­tre­ten eines sol­chen Worst-Case-Sze­na­ri­os mag nach aktu­el­ler Auf­fas­sung sehr unwahr­schein­lich sein – doch aus­ge­schlos­sen ist es nicht. Ins­be­son­de­re der Umstieg auf vola­ti­le Ener­gie­quel­len, kri­mi­nel­le Atta­cken oder ein Son­nen­sturm könn­ten das euro­päi­sche Strom­netz in den kom­men­den Jah­ren und Jahr­zehn­ten desta­bi­li­sie­ren. Wir dür­fen daher nicht die Feh­ler wie­der­ho­len, die uns bezüg­lich des Pan­de­mie­ri­si­kos unter­lau­fen sind. Ange­sichts des enor­men Scha­dens­aus­ma­ßes, das mit einem Black­out ver­bun­den wäre, soll­ten wir bes­ser früh als zu spät wirk­sa­me Vor­keh­run­gen tref­fen. So gibt es in Deutsch­land bis­lang kei­ne spe­zia­li­sier­ten Behör­den oder per­ma­nen­ten Exper­ten­gre­mi­en, die sich mit der kon­kre­ten Not­fall­pla­nung für einen Total­aus­fall der Ener­gie­ver­sor­gung befas­sen. Dabei könn­ten die­se rela­tiv ein­fach geschaf­fen werden.

Auch in For­schung und Leh­re bedarf es einer inten­si­ve­ren Aus­ein­an­der­set­zung mit Kata­stro­phen­ri­si­ken. An mög­lichst vie­len Uni­ver­si­tä­ten soll­ten Lehr­stüh­le ein­ge­rich­tet wer­den, die Exper­ti­se aus unter­schied­li­chen Dis­zi­pli­nen bün­deln und inter­na­tio­na­le Wis­sens­netz­wer­ke auf­bau­en. Die Dis­zi­plin der “Pan­de­mie­prä­ven­ti­on und ‑stra­te­gie” etwa hät­te – als Teil der Public-Health-Wis­sen­schaft – schon vor Jahr­zehn­ten wis­sen­schafts­po­li­tisch auf­ge­baut und geför­dert wer­den können.

Sel­ten zuvor waren Poli­tik und Gesell­schaft so sehr auf das Know-how von Exper­ten ange­wie­sen wie heu­te. Die Wis­sen­schaft spielt damit eine zen­tra­le Rol­le in der Poli­tik­be­ra­tung, kann und soll der demo­kra­ti­schen Poli­tik das Abwä­gen und Ent­schei­den jedoch nicht abneh­men. Wenn es uns gelingt, unter­schied­li­che gesell­schaft­li­che Teil­sys­te­me wie die Wirt­schaft, die Kul­tur, die Bil­dung, die Wis­sen­schaft und die Poli­tik früh­zei­tig über kata­stro­phen­po­li­ti­sche Fra­gen mit­ein­an­der ins Gespräch zu brin­gen und auf­ein­an­der abzu­stim­men, dann dür­fen wir hof­fen, dass wir auf künf­ti­ge Kri­sen vor­be­rei­tet sein wer­den. Dass wei­te­re Groß­ka­ta­stro­phen dro­hen, ist ange­sichts der Viel­zahl der Risi­ken zwar eine sta­tis­ti­sche Gewiss­heit, doch kein Grund für resi­gna­ti­ven Fata­lis­mus. Denn die Zukunft ist offen. Es liegt in unse­rer Hand, die kom­men­de Kata­stro­phe abzuwenden.

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